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- Bern - Martin Troxler

Steigende Erwerbsbeteiligung – zu welchem Preis?

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In der Schweiz sind gemäss neusten Zahlen fast 85% der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren erwerbstätig. Diese im europäischen Vergleich sehr hohe Erwerbsbeteiligung wuchs gegenüber 2010 um fast 3%. Relativiert wird der Wert durch die hohe Teilzeitarbeitsquote. Eine Steigerung der Vollzeit-Erwerbsquote ist volkswirtschaftlich sinnvoll. Mit Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit sowie steuerlichen Anreizen kann sie gefördert werden.

Hohe Erwerbsbeteiligung in der Schweiz weiter gestiegen

Gemäss der Arbeitskräfteerhebung 2018 des Bundesamtes für Statistik sind in der Schweiz 84,2% der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren erwerbstätig und nehmen damit am Arbeitsmarkt teil. Dies entspricht einer Steigerung von 2,9% gegenüber 2010. Die Differenz zwischen der Erwerbsquote der Frauen (79,9%) und der Männer (88,5%) hat sich in den letzten Jahren stetig verringert. Dies sind erfreuliche Entwicklungen. Im europäischen Vergleich ist die Erwerbsbeteiligung in der Schweiz sehr hoch. Der Durchschnitt innerhalb der EU/EFTA-Staaten liegt bei 73,3% (Daten von 2017). 

Allerdings sind in der Schweiz rund 35% aller erfassten Erwerbstätigen in einem Teilzeit-Arbeitsverhältnis angestellt, was die sehr hohe Erwerbsbeteiligung stark relativiert. Der EU-Durchschnitt ist mit einer Teilzeitquote von 19,4% wesentlich tiefer.  Wenn man auf Vollzeit-äquivalente abstellt, drückt der hohe Anteil an Teilzeiterwerbstätigen die Erwerbsquote in der Schweiz unter den 15-64-Jährigen auf wesentlich tiefere 72,8%! 

Es sei darauf hingewiesen, dass in diesen Zahlen sowohl Dauer- wie auch Temporärstellen berücksichtigt werden. Die folgenden Überlegungen zur Erwerbsquote erfolgten jedoch unabhängig vom Aspekt der Vertragsform und stehen nicht im Zusammenhang mit der jüngsten gewerkschaftlichen Kritik an der Zeitarbeit.

Motive für Teilzeitarbeit – gewollt oder ungewollt?

Bei der Frage nach den Ursachen für die hohe Teilzeitquote in der Schweiz sollten zwei Gruppen unterschieden werden. Ein Teil der Teilzeitbeschäftigten, und damit handelt es sich vermutlich um die Mehrheit, tut dies aus freien Stücken. Aus Sicht der Arbeitnehmenden können verschiedene Motive hinter einem solchen Entscheid stehen. Zu nennen ist hier an erster Stelle die Optimierung zwischen Beruf und Familie, subsumiert unter dem Schlagwort Work-Life-Balance. Weiter ist es aus Sicht eines Doppelverdiener-Haushaltes angesichts des hohen Lohnniveaus in der Schweiz oftmals ausreichend, dass der kumulierte Beschäftigungsgrad des Haushaltes deutlich unter 200% liegt. Drittens spielt bei der Entscheidung bezüglich Beschäftigungsgrad bei verheirateten Paaren auch die in der Schweiz berühmt-berüchtigte Heiratsstrafe eine Rolle. Daneben gibt es eine zweite Gruppe: Arbeitnehmende, welche den Beschäftigungsgrad gerne erhöhen möchten, dies aber aus organisatorischen oder arbeitsmarktbedingten Gründen nicht können.

Geschlechterspezifisch fällt auf, dass die schweizerische Erwerbsquote bei den Frauen in Vollzeitäquivalenten erheblich tiefer ist als bei den Männern (59,8% gegenüber 85,5%). Dies ist ein klares Indiz dafür, dass der Hauptharst der Teilzeitstellen, insbesondere die Arbeitsverhältnisse mit tiefen Beschäftigungsgraden, von Frauen besetzt wird. Im europäischen Ausland ist dies nicht anders, auch wenn die entsprechende Erwerbsquote der Frauen im EU-Raum mit 67,8% deutlich über dem schweizerischen Wert liegt. 

Weiter kann beobachtet werden, dass die Erwerbsquote bei Müttern mit steigendem Alter des jüngsten Kindes zunimmt. Dies ist nicht überraschend und reflektiert den Umstand, dass die zeitliche Bindung für die Kinderbetreuung in der Regel bei Kindern im Vorschulalter am Intensivsten ist und danach kontinuierlich abnimmt. Wenn die Eltern sich einig sind, dass eine Fremdbetreuung des Kindes gewünscht wird und die Mutter schneller zur Arbeit zurückkehren will, müssen Strukturen zur Verfügung stehen, die dies begünstigen. Weil ein Drittel der befragten Frauen angab, aufgrund einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung die Arbeitsstelle gewechselt zu haben, kommen diesbezüglich auch auf die Arbeitgeber neue Herausforderungen zu.

Vollbeschäftigung ist volkswirtschaftlich sinnvoll

Vollbeschäftigung ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ein erstrebenswertes Ziel. Wie lange kann sich die Schweiz angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels den Luxus noch leisten, das Arbeitskräftepotential von gut ausgebildeten Teilzeitbeschäftigten brach liegen zu lassen? Eine Steigerung der Vollzeitäquivalenz-Erwerbsquote hätte auch positive Auswirkungen auf die Sozialversicherungen, einerseits durch eine Erhöhung des Beitragsvolumens, andererseits durch eine Steigerung des individuellen Rentenniveaus, was im Hinblick auf den wachsenden Bedarf an Zusatz- und Ergänzungsleistungen zu begrüssen wäre. Angesichts der sich akzentuierenden Finanzierungsfragen in den Sozialversicherungen und im Gesundheitswesen ist es zwingend notwendig, dass nebst einer Verlängerung der Erwerbstätigkeit auch die Vollzeitäquivalenz-Erwerbsquote weiter ansteigt.

Auf Arbeitgeberseite liegen die Handlungsmöglichkeiten insbesondere in einer entsprechenden Anpassung der Arbeitsbedingungen und einer weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeiten, um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben noch besser zu unterstützen. Die Behörden ihrerseits stehen vor der Herausforderung, in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor ein ausreichendes und der Situation angemessenes Betreuungsangebot zu schaffen oder zu ermöglichen. Weiter ist der Staat in der Pflicht, die Steuerstrafe für Ehepaare, bei denen beide Ehepartner arbeiten, rasch abzuschaffen.



Martin Troxler,
Verbandsmanager

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