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- Bern - Pierre-Gabriel Bieri

Aufrechterhaltung der Personenfreizügigkeit

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Die Ablehnung der Volksinitiative, welche die Personenfreizügigkeit frontal angreift, ist in diesem Jahr eine der grössten Herausforderungen für die Wirtschaftswelt. Die Schweizer Wirtschaft profitiert von diesem vor mehr als 15 Jahren eingeführten liberalen Regime. Auch dank ihr wurden viele neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Arbeitsbedingungen in der Schweiz haben darunter nicht gelitten. Eine Annahme der Initiative wäre unserem Wohlstand abträglich. Und die Migrationsströme im Allgemeinen würden damit in keiner Art und Weise behoben.

Aufhebung der Personenfreizügigkeit innerhalb eines Jahres

Der Bundesrat hat soeben entschieden, am kommenden 17. Mai die Volksinitiative „Für eine massvolle Zuwanderung“, auch „Begrenzungsinitiative“ genannt, Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten. Machen wir zusammen einen kurzen Rückblick. Am 9. Februar 2014 wurde Artikel 121a der Bundesverfassung „Steuerung der Zuwanderung“ in der Volksabstimmung angenommen. Bei der Umsetzung der Initiative wich das Parlament jedoch vom Wortlaut der Verfassung ab. Dies insbesondere um das Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU nicht zu verletzen. Daraufhin lancierte die SVP eine zweite Volksinitiative. Diese richtet sich nun explizit gegen das mit Brüssel abgeschlossene Abkommen. Ein neuer Artikel 121b „Zuwanderung ohne Personenfreizügigkeit“ würde in die Bundesverfassung aufgenommen. Damit wäre jeder neue internationale Vertrag ausgeschlossen, welcher Ausländern die Personenfreizügigkeit gewährt. Zudem soll das zwischen der Schweiz und der europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten bestehende Abkommen über die Personenfreizügigkeit aufgehoben werden. Und dies innerhalb einer super kurzen Frist von nur einem Jahr. 

Das Parlament hat diese Initiative abgelehnt. Eine erste Umfrage zeigt, dass auch eine Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist. Gleichwohl erfreut sich die Initiative einer gewissen Beliebtheit. Dies nicht nur bei Personen, die sich angesichts der Migrationsströme auf dem europäischen Kontinent Sorgen machen. Nein, dazu gehören auch Leute, welche der Schweiz eine Überbevölkerung attestieren oder durch die Anwesenheit ausländischer Arbeitskräfte die Arbeitsbedingungen und Löhne in der Schweiz unter Druck sehen.

Erinnern wir uns, dass die 2014 angenommene Initiative mit der europäischen und nichteuropäischen Zuwanderung sowie mit Asylbewerbern alle Arten der Einwanderung im Visier hatte. Dies mag dazu beigetragen haben, die Zustimmung zu erhöhen. Die nun zur Abstimmung gelangende Initiative hat hingegen gezielt die europäische Einwanderung im Fokus. Diese stammt bekanntlich zum grössten Teil aus den Nachbarstaaten. In Bezug auf die anderen Arten der Einwanderung bringt sie nichts Neues.

Keine Diskriminierung der schweizerischen Arbeitnehmenden

Zweifellos ist für die Wirtschaftswelt die Ablehnung dieser Initiative eine der grössten Herausforderungen dieses Jahres. Dabei profitieren keinesfalls nur Grossunternehmen von diesem seit mehr als 15 Jahren eingeführten liberalen Regime der Personenfreizügigkeit, sondern auch viele kleinere und mittlere Unternehmen. Diese ermöglicht allen Personen in die Schweiz einzureisen, sofern sie über einen Arbeitsvertrag verfügen. Für die Arbeitgeber heisst dies einfacher die genau von ihnen benötigten Arbeitskräfte rekrutieren zu können.

Die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit der Arbeitnehmenden – und nur der Arbeitnehmenden – sind insgesamt sehr positiv. Dies hält der 2019 veröffentlichte Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) fest. Die inländische Wirtschaftstätigkeit wurde kräftig angekurbelt und seit 2010 viele neue Stellen geschaffen (600’000 an der Zahl). Entgegen der landläufigen Meinung hat dies zu keiner Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder einer Diskriminierung einheimischer Arbeitskräfte geführt.

Die Ankunft von Arbeitskräften aus der EU zog keine erhöhte Arbeitslosigkeit unter den Schweizer Arbeitnehmenden nach sich. Die Erwerbsquote sowohl von inländischen als auch von ausländischen Arbeitnehmenden hat seit Beginn des Jahrzehnts zugenommen. Ebenfalls die Lohnentwicklung wurde nicht negativ beeinflusst. Die Einkommen stiegen seit 2002 jährlich um durchschnittlich 1.1%. Das Lohngefälle zwischen europäischen Einwanderern und einheimischen Beschäftigten ist bei vergleichbaren Rahmenbedingungen nach wie vor unbedeutend. Tiefstlöhne erlebten ein vergleichbares Wachstum wie die anderer Lohnkategorien. Schliesslich werden jährlich im Rahmen der Kontrolle der Einhaltung der flankierenden Massnahmen die Lohn- und Arbeitsbedingungen für 45’000 Lohnempfänger überprüft.

Es steht mehr auf dem Spiel als die Personenfreizügigkeit

Zwei weitere Argumente verdienen Aufmerksamkeit. Einerseits verbessert das Abkommen über die Personenfreizügigkeit die Situation der vielen Schweizerinnen und Schweizern, die im europäischen Ausland selbständig erwerbend oder angestellt sind. Ihre Privilegien würden bei einem Verzicht der Schweiz auf die Personenfreizügigkeit ersatzlos wegbrechen. Andererseits ist mit der Personenfreizügigkeit die sogenannte „Guillotine-Klausel“ verbunden. Die sechs weiteren bilateralen Abkommen Technische Handelshemmnisse, Öffentliches Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Landverkehr, Luftverkehr und Forschung würden hinfällig, da sie mit dem Schicksal der Personenfreizügigkeit verknüpft sind. All diese Abkommen erleichtern Schweizer Unternehmen den Zugang zum europäischen Binnenmarkt erheblich. Sie zementieren zudem den bilateralen Weg, welchen die Schweiz als Königsweg für ihre Beziehungen zur EU auserkoren hat. Reicht ein diffuses und weitgehend unbegründetes Unbehagen der Personenfreizügigkeit gegenüber aus, um all die positiven Auswirkungen leichtfertig aufs Spiel zu setzen?

Schliesslich, gerichtet an jene, die eine Übervölkerung befürchten: Ist nicht ein Anziehen von ausländischen Arbeitnehmenden einem in die Flucht Treiben der einheimischen Bevölkerung vorzuziehen? Leider ist dies in einigen Ländern bereits zu beobachten. Zugegebenermassen ist es nicht einfach ein Gleichgewicht zu finden. Dieses pendelt sich jedoch allmählich ein. Denn die Zuwanderung europäischer Arbeitnehmenden in die Schweiz hat sich innerhalb der letzten fünf Jahre bereits halbiert.

Die Initiative «Für eine massvolle Zuwanderung» ist in jeder Hinsicht übertrieben, nicht zielführend, schädlich für den schweizerischen Wohlstand, ohne auch nur im Ansatz die Migrationsströme im Allgemeinen positiv zu beeinflussen. Die Antwort lautet daher NEIN.



Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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