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- Bern - Martin Kuonen

Kündigungsinitiative: Wirtschaftliches Harakiri

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Mit der Kündigungsinitiative stimmen wir faktisch nicht nur über die Fortführung der Personenfreizügigkeit mit der EU ab. Bei der Annahme werden auch fünf wichtige Bereiche des Marktzugangs sowie der Zugang zum EU-Forschungsprogramm geopfert. Die Corona-Krise fordert die schweizerische Wirtschaft mehr denn je. In Krisenzeiten wirft man nicht Bewährtes über Bord. Also definitiv keine gute Zeit für wirtschaftspolitische Experimente. Wir müssen alles tun, um möglichst unbeschadet durch diese Krise zu kommen. Dafür ist die Kündigungsinitiative mit Sicherheit das falsche Instrument.

Es geht um mehr als die Personenfreizügigkeit

Am 6. Dezember 1992 lehnte das Schweizer Volk den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) knapp ab. Daher musste die bestehende und auszubauende Zusammenarbeit mit der EU auf ein anderes Fundament abgestützt werden. Es galt die drohende wirtschaftliche Isolation für die Schweiz zu verhindern. Was folgte war ein Verhandlungsmarathon mit der EU. Das erste Paket umfasst sieben sektorielle Abkommen, genannt Bilaterale I. Im Jahr 2000 stimmte das Schweizer Volk diesen mit fast 70% zu und bestätigte den Entscheid später mehrmals. Hinzu kamen die Abkommen von 2004, die Bilateralen II. Gefunden wurde damit eine andere pragmatische, massgeschneiderte Lösung, um das Verhältnis der Schweiz mit der EU zu regeln: Der Bilaterale Weg.

Nun soll an der Volksabstimmung vom 27. September diesem Königsweg der Stecker gezogen werden. Die SVP nennt ihre Initiative beschönigend „Begrenzungsinitiative“. In Tat und Wahrheit ist sie jedoch eine „Kündigungsinitiative“. Die Initiative hat den Vorteil unmissverständlicher Klarheit. Sie will die Personenfreizügigkeit mit der EU beenden. In den Übergangsbestimmungen steht im  Initiativtext schwarz auf weiss, dass bei Annahme der Initiative innerhalb von zwölf Monaten mit der EU auf dem Verhandlungsweg das Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA) ausser Kraft gesetzt werden muss. Gelingt dies nicht, „so kündigt der Bundesrat das Abkommen innert weiteren 30 Tagen“.

Das FZA ist rechtlich mit den übrigen sechs Abkommen der Bilateralen I verknüpft. Wird es gekündigt, treten sechs Monate später automatisch auch die anderen Abkommen ausser Kraft (Guillotine-Klausel). Faktisch stimmen wir demzufolge nicht nur über die Fortführung der Personenfreizügigkeit ab, sondern auch über fünf Bereiche des Marktzugangs in die EU: die Abkommen über technische Handelshemmnisse, das öffentliche Beschaffungswesen, die Landwirtschaft sowie den Land- und Luftverkehr. Zudem würde auch das Forschungsabkommen dahinfallen, welches die Teilnahme der Schweiz an den EU-Forschungsprogrammen regelt. Ob die EU ihrerseits weitere Verträge beenden würde, ist ungewiss. Doch sieht diese die Personenfreizügigkeit als Grundlage für die Teilnahme der Schweiz an Schengen/Dublin an.

Die Personenfreizügigkeit ist ein Segen

Aber nicht nur aus Angst vor dem Wegfall von bilateralen Verträgen soll am FZA festgehalten werden. Für die Schweiz ergeben sich viele Vorteile. Erstens beruht dieses auf Gegenseitigkeit. Deshalb sichert das FZA rund einer halben Million Schweizerinnen und Schweizern, die in Europa leben, arbeiten und studieren ihren Status.

Zweitens braucht der schweizerische Arbeitsmarkt Arbeitskräfte aus der EU. Grund ist die Demografie. Der Fachkräftemangel v.a. im Gesundheitswesen, im Bau- und Baunebengewerbe sowie im Tourismus kann ohne ausländisches Personal nicht behoben werden. Im Moment ist hinsichtlich des wirtschaftlichen Nutzens der Bilateralen Verträge ein Hickhack zwischen Studien von Befürwortern und Gegnern im Gang. Doch lassen wir Prozentpunkte aussen vor und fokussieren uns auf allgemeine ökonomische Grundsätze. Der Abbau von Marktbehinderungen steigert in aller Regel den Wohlstand. Verstärkter Wettbewerb erhöht via Handel und Direktinvestitionen die Leistungsanreize, fördert die Innovation und senkt die Preise. Eine stabile Vertragsbeziehung zwischen der Schweiz und der EU stärkt zudem die Rechtssicherheit und fördert Investitionen. Deshalb hat drittens die Personenfreizügigkeit in den letzten 20 Jahren zum Wohlstand der Schweiz beigetragen.

Wirklich der falsche Zeitpunkt für wirtschaftspolitische Experimente

Die Schweiz hat noch nicht aus der Corona-Krise herausgefunden. Sie steckt in einer Rezession. Das BIP der Schweiz ging im 2. Quartal um rekordhohe –8,2 % zurück, nach –2,5 % im Vorquartal. Und auch die Weltwirtschaft stürzte in eine scharfe Rezession. Deshalb dürfte die Wirtschaftsleistung der Schweiz noch einige Zeit vor sich her dümpeln.

Insbesondere in Krisenzeiten ist es gefährlich, ja verantwortungslos, Bewährtes über Bord zu werfen. Gerade jetzt ist es für Schweizer Unternehmen unverzichtbar, dass sie mit ihren Partnern in Europa stabile Beziehungen haben. Der bilaterale Weg hat sich für unser Land in den vergangenen Jahren bewährt.  Er würde durch die Annahme der Kündigungsinitiative zerstört. Die schweizerische Wirtschaft stünde vor einer grossen Ungewissheit. Eine solche ist in der heutigen Zeit Gift.

Wir müssen alles dafür tun, damit unser Land möglichst unbeschadet durch diese Krise kommt. Die Kündigungsinitiative ist mit Sicherheit das falsche Instrument dazu. Wenn es eine Abstimmung gibt, an der man teilnehmen soll und die abgelehnt werden muss, dann diese! 



Martin Kuonen,
Direktor Centre Patronal Deutschschweiz

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