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- Bern - Pierre-Gabriel Bieri

Verantwortungsvolle Unternehmen: Was der Titel nicht sagt

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Mit der am 29. November zur Abstimmung gestellten Initiative soll das Verhalten der im Ausland tätigen Schweizer Unternehmen moralisiert werden. Die Umsetzung der Initiative würde sich jedoch sowohl für die Schweizer Justiz als auch für viele Unternehmen (und nicht nur für grosse multinationale Konzerne) als sehr schwierig erweisen und gleichzeitig zu einem bedauerlichen Rückgang an Investitionen in Entwicklungsländern führen.

Eine verführerische Initiative

Über das Schicksal der Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen“ (von ihren Anhängern fälschlicherweise als „Konzernverantwortungsinitiative“ bezeichnet) wird an der Wahlurne am 29. November entschieden. Sie reiht sich ein in diese verführerischen Initiativen, die den Anspruch erheben, das Wirtschaftsleben zu moralisieren, aber in der Praxis schwierig umzusetzen sowie potenziell gefährlich für Unternehmen sind, die sich korrekt verhalten, und paradoxerweise schädlich sind für diejenigen, die sie zu schützen vorgeben.

Der Text fordert, dass in der Schweiz niedergelassene und im Ausland tätige Unternehmen verpflichtet werden sollen, die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Menschenrechte und die Umwelt mit einer „angemessenen Sorgfalt“ zu prüfen. Sie sollten „unter anderem die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen auf die international anerkannten Menschenrechte und die Umwelt untersuchen, geeignete Massnahmen ergreifen,  um Verletzungen der international anerkannten Menschenrechte und der internationalen Umweltstandards zu verhindern, bestehende Verletzungen zu beenden und über die ergriffenen Massnahmen Rechenschaft ablegen“. Diese Verpflichtungen würden „für kontrollierte Unternehmen sowie für sämtliche Geschäftsbeziehungen“ gelten, und Unternehmen, die dieser Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, würden strafrechtlich für den verursachten Schaden haftbar gemacht. Der Text der Initiative erkennt an, dass die Ausführungsgesetzgebung die besondere Situation von KMU berücksichtigen sollte, die „in geringerem Masse“ Risiken verursachen.

Diese Initiative geht weit über die in der Europäischen Union und anderen westlichen Ländern geltende Gesetzgebung hinaus, weshalb die Gegner zu Recht eine Verzerrung des Wettbewerbs zwischen schweizerischen und ausländischen Unternehmen befürchten. Der Text wirft jedoch noch andere Probleme auf.

Riskante Umsetzung

Die Initiative verlangt, dass bestimmte Praktiken, die unserer Ansicht nach gegen die Menschenrechte oder das Umweltrecht verstossen und die im Ausland stattgefunden haben, in einem Rechtssystem, das wir als mangelhaft erachten, vor Schweizer Gerichte gebracht werden. Abgesehen von der etwas anmassenden Natur dieses Ansatzes ist es wahrscheinlich, dass seine Anwendung riskant sein wird. Für Schweizer Richter wird es sehr schwierig sein, in fremden Ländern mit ungewohnten Sprachen zu ermitteln und schlüssige Beweise zu sammeln. Die Gerichte werden dadurch mit langwierigen Prozessen konfrontiert, die nur unter grossem Aufwand durchgeführt werden können.

Viele Schweizer Unternehmen – und nicht nur die grossen multinationalen Konzerne – haben mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die eine Quelle der Rechtsunsicherheit darstellen. Sie müssen ihre Geschäftsbeziehungen im Ausland, einschliesslich ihrer Lieferanten und Subunternehmer oder sogar deren Subunternehmer, systematisch überwachen, um Praktiken aufzudecken, die nicht notwendigerweise durch die örtliche Gesetzgebung verboten sind, die aber potenziell gegen internationale Normen verstossen – die manchmal einen grossen Interpretationsspielraum haben, insbesondere im Umweltbereich.

Wie die „besondere Situation“ von KMUs berücksichtigt wird, ist noch unbekannt, aber es ist wahrscheinlich, dass innerhalb des Kreises der betroffenen Schweizer Unternehmen eine Tendenz besteht, sich vorsichtshalber aus Ländern zurückzuziehen, in denen die Risiken nicht vollständig unter Kontrolle sind. 

Schädliche Auswirkungen in Entwicklungsländern

Es handelt sich um eine absurde Konsequenz der Initiative, die zweifellos erklärt, warum ein Teil der Schweizer Wirtschaft sich nicht betroffen fühlt: Die schädlichsten Auswirkungen wären im Ausland. In einigen Entwicklungsländern würden die schweizerischen Investitionen zurückgehen, was Raum für die skrupellosen Praktiken anderer ausländischer Firmen liesse. Die unermüdlichen Bemühungen von Nationalrätin Isabelle Chevalley sind hier zu würdigen. Sie zeigen, dass Schweizer Unternehmen, die in der Dritten Welt tätig sind, einen nützlichen Beitrag zur Entwicklung der lokalen Wirtschaft und zur Bekämpfung der Armut leisten und dass ein Rückzug der Schweizer Präsenz im Namen der westlichen Moral für diese Menschen keinen Nutzen bringen würde.

Wir können also feststellen, dass die Nichtregierungsorganisationen im Prinzip die ihnen zugedachte Rolle wahrnehmen, wenn sie die Verbraucher ehrlich über die unlauteren Praktiken bestimmter Unternehmen informieren. Sie sind aber andererseits auf dem Holzweg, wenn sie versuchen, durch Gesetzgebung und Gerichte einen zu strengen Moralkodex durchzusetzen. 

Trotz dieser Mängel scheint die Initiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen“ mit ihrem sympathischen Titel inzwischen viele Bürgerinnen und Bürger anzusprechen. Sie sollten jedoch daran erinnert werden, dass das Parlament einen Gegenentwurf ausgearbeitet hat, der sicherlich bescheidener, aber auch realistischer und zielgerichteter ist, in Übereinstimmung mit dem, was in anderen westlichen Ländern getan wird. Dieser verpflichtet die grossen multinationalen Konzerne zu mehr Transparenz in ihren Aktivitäten und erlegt ihnen eine grössere Sorgfaltspflicht in Bezug auf Kinderarbeit und „Konfliktmineralien“ auf (Handel mit Mineralien, die zur Finanzierung bewaffneter Gruppen in politisch instabilen Regionen verwendet werden). Dieser Gegenvorschlag kann sofort in Kraft treten; er ist derjenige, den wir bevorzugen, während die Initiative entschieden abgelehnt werden muss.



Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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