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- Bern - Martin Kuonen

Horizon Europe: Bundesrat gibt Gegensteuer – EU muss Trotzphase beenden

Horizon Europe EU Forschungsprogramm

Als nicht-assoziierter Drittstaat beim Forschungsprogramm Horizon Europe erleidet die Schweiz viele Nachteile. Bundesrat und Parlament geben mit diversen nützlichen Massnahmen Gegensteuer. Zudem: Die “Kohäsionsmilliarde” an die EU fliesst und alle Sanktionspakete der EU gegen Russland und Belarus trägt die Schweiz voll mit. Nun sollte Geben und Nehmen spielen. Die EU muss über ihren Schatten springen und der Schweiz die vollständige Assoziierung zusprechen.

EU straft Schweiz ab…

Die Kooperation zwischen der Schweiz und der EU im Bereich Forschung und Innovation hat eine lange Tradition. Seit 1988 beteiligen sich Forschende in der Schweiz an Forschungsrahmenprogrammen der EU. Beim letzten Programm “Horizon 2020” partizipierte die Schweiz als vollassoziierter Staat. Im Frühjahr 2021 fiel der Startschuss für das neue Rahmenprogramm “Horizon Europe“. Mit 95,5 Milliarden Euro ist dies das bisher ambitionierteste Forschungs- und Innovationsförderprogramm in der Geschichte der EU. Vermehrte Investitionen in hochqualifizierte Arbeitskräfte und Spitzenforschung sollen die Wissenschafts- und Technologiegewinnung stärken. So weit, so gut.

Im Sommer 2021 folgt der Schock. Nix mehr mit der Schweiz als vollintegrierter Partner. Die EU bockt und straft die Schweiz ab. Dies wohl als Folge des Bundesratsentscheides, das Institutionelle Abkommen Schweiz-EU nicht zu unterzeichnen. Bei Horizon Europe wird die Schweiz neu als “nicht-assoziierter Drittstaat” behandelt. Damit gehen schwerwiegende Folgen einher. Wohl können, sofern die Schweiz dies separat finanziert, Personen und Institutionen an europäischen Projekten teilnehmen. Aber die Leitung und Koordination solcher Projekte aus der Schweiz heraus ist nicht mehr möglich. Ebenso fliesst kein Geld mehr. Schweizer Forschende können beim European Research Council keine Grants mehr beantragen. Auch von Ausschreibungen in der Weltraum- und Quantenforschung ist die Schweiz ausgeschlossen.

Deshalb könnten Spitzenforschende sowie innovative Unternehmen ins Ausland abwandern oder gar nicht mehr in unser Land kommen. Spin-offs könnten sich ins Ausland verabschieden, weil dort EU-Fördergelder winken. Folge davon wäre eine substanzielle Schwächung der Schweizer Forschung und der wirtschaftlichen Innovation. Die Attraktivität des Standortes Schweiz sänke. Der internationale Anschluss drohte verloren zu gehen. Denk- und Werkplatz Schweiz sind im globalen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Talente auf einen intensiven Austausch angewiesen. Leiden würden nicht nur Universitäten und Fachhochschulen, sondern auch viele KMU. Kurz zusammengefasst: Ohne Vollanschluss an Horizon Europe leidet die Volkswirtschaft und damit der Wohlstand der Schweiz.

…und erzielt ein klassisches Eigentor

Welche Tarantel hat die EU gestochen? Denn um die Schweiz abzustrafen, schwächt die EU ihre eigene Forscherzunft. Forschung und Wissenschaft kennen keine Grenzen. Die ETHZ und die EPFL gehören zu den zwanzig besten Universitäten der Welt. Nach dem Global Innovation Index 2021 ist die Schweiz zum elften Mal in Folge das innovativste Land der Welt. Dies zeigt auf, wie absurd die Rückstufung der Schweiz als nicht-assoziierter Drittstaat ist. Dadurch werden Forschung und Wissenschaft direkt attackiert. Dies sind heilige Kühe, die grenzüberschreitend unantastbar bleiben müssen.

Die Zeche bezahlen wird die Menschheit, die auf konkrete Forschungs- und Wissenschaftsdurchbrüche wartet, z.B. im Kampf gegen so heimtückische Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer. Damit bahnbrechende Forschungs- und Wissenschaftserfolge entstehen können, braucht es hochqualifizierte Arbeitskräfte und Spitzenforschung. Dies sind genau jene Bereiche, welche Horizon Europe gezielt fördern will. Da schliesst man doch nicht politisch motiviert präventiv die ganze Forscher- und Wissenschaftsgilde der Schweiz aus!

Von der Intelligenzia wurde erkannt, dass die Offiziellen der EU ein klassisches Eigentor erzielt haben. Heute drängen deshalb europäische Institute und Universitäten die EU-Kommission, ihren absurden Entscheid rückgängig zu machen. Immer mehr Staaten schliessen sich dem Protest an. Forschende und die Wissenschaft als politische Geisel zu gebrauchen, zeugt nicht nur von kleinkariertem Denken, sondern ist schlicht und einfach nur dumm. Forschung und Wissenschaft dürfen nie im Dienst der Macht stehen.

Schweiz begrenzt den Schaden – und die EU?

Die Gefahren, welchen die Schweiz durch die Rückstufung bei Horizon Europe ausgesetzt ist, haben unsere Regierung und die Politik rasch erkannt. Und sie haben gehandelt. In der Herbstsession stimmte das Parlament der Freigabe der “Kohäsionsmilliarde” als Beitrag an die Kosten der Erweiterung der EU zu. Bei Verbundprojekten springt das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI in die Bresche und finanziert Forschende in der Schweiz direkt. Der Bundesrat hat entschieden, finanzielle Mittel als Übergansmassnahmen der Innosuisse für die Ausschreibungen des EIC Accelerator 2022 bereitzustellen. Ende März erhielten unter diesem Titel 24 Start-ups eine Direktfinanzierung, um innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen auf den Markt zu bringen.

Und letzte Woche hat der Bundesrat die Botschaft ans Parlament verabschiedet, welche den Beitritt der Schweiz zu sechs europäischen Forschungsinfrastrukturen regelt. Bisher war die Schweiz bei den European Research Infrastructure Consortium (ERIC) nur als Beobachterin beteiligt. Der Bundesrat schlägt vor, in den Status einer Mitgliedschaft zu wechseln. Damit verbunden ist das Recht, sich aktiv und dauerhaft in diese Netzwerke einzubringen und in den Steuergremien dieser Organisationen Stimmrecht zu erhalten. Die Schweiz würde damit stärker in die europäische Landschaft der Forschungsinfrastrukturen eingebunden.

All diese Schritte sind wünschenswert und erfolgen zeitnah und adäquat. Dies darf jedoch nicht davon ablenken, was das erklärte Ziel bleiben muss: Eine vollständige Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe.

Nun ist es an der EU über ihren Schatten zu springen. Sie kann den Status der Schweiz als nicht-assoziierter Drittstaat jederzeit ändern. Wieso bei diesem Entscheid nicht auch berücksichtigen, dass die Schweiz bisher alle fünf Sanktionspakete der EU gegen Russland und Belarus übernommen hat und strikte umsetzt? Geben und Nehmen sollte auch hier Anwendung finden.

Weiterführende Informationen:

Medienmitteilung Bundesrat vom 04.03.2022



Martin Kuonen,
Direktor Centre Patronal Deutschschweiz

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