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«Ernährungsinitiative»: diskutables Ziel, inakzeptable Rezepte!

Ernährungsinitiative: diskutables Ziel, inakzeptable Rezepte! Eine Frau mit Einkaufswagen steht im Supermarkt vor einem Regal.

«Ernährungsinitiative»: diskutables Ziel, inakzeptable Rezepte! Eine neue Initiative von Umweltschützern fordert eine Stärkung der Selbstversorgung mit Lebensmitteln, insbesondere durch eine dirigistische Umgestaltung der Landwirtschaft und eine Änderung der Konsumgewohnheiten der Bevölkerung. Mag das Ziel diskutabel sein, die Mittel dazu sind kategorisch abzulehnen. Zudem: Der Bund verfolgt in diesem Bereich bereits heute eine stark interventionistisch geprägte Politik.

In zehn Jahren die Landwirtschaft revolutionieren

In der langen Liste der Volksinitiativen, die sowohl darauf abzielen, die ökologische Wählerschaft zu mobilisieren als auch unsere Landwirtschaft und Ernährung zu kontrollieren (Initiativen „Verantwortungsvolle Wirtschaft“ vom 9. Februar 2025, „Biodiversität“ vom 22. September 2024, „Pestizidverbot“ und „Trinkwasser“ vom 13. Juni 2021 usw.), liegt dem Parlament derzeit ein neuer Text mit dem Titel „Für eine sichere Ernährung – durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)“ vor. Diese Initiative wurde im August 2024 eingereicht und vom Bundesrat im August 2025 mit einer ausführlichen Botschaft, in der er ihre Ablehnung ohne Gegenvorschlag empfiehlt, an das Parlament überwiesen. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats wird sich in ihrer Sitzung vom 13. Oktober mit diesem Geschäft (25.067) befassen.

Die Forderung, die als Hauptziel der Initiative erscheint, ist ein Netto-Selbstversorgungsgrad von mindestens 70% (gegenüber derzeit weniger als 50%). Der Text schreibt eine Reihe von Massnahmen vor, um dieses Ziel innerhalb von zehn Jahren zu erreichen. Zum Beispiel: eine Verschärfung der Vorschriften für Düngemittel und Nährstoffe, die die Wasserqualität und die biologische Vielfalt beeinträchtigen können (hier findet sich das Thema der Initiativen von 2021 wieder, das genau den Zielen der Produktion und damit der Selbstversorgung zuwiderläuft); die Förderung von natürlichem und reproduzierbarem Saat- und Pflanzgut; eine Landwirtschaft, die „den Anforderungen des Marktes gerecht wird und gleichzeitig nachhaltig und klimafreundlich ist“ (eine inhaltlose Formulierung, die jeder Form von Dirigismus Tür und Tor öffnet); „Massnahmen zur Förderung einer stärker auf pflanzliche Lebensmittel ausgerichteten Ernährung“ (also eine versteckte Einschränkung des Fleischkonsums). Wohl sind einige dieser Mittel die eigentlichen Ziele der Initianten, während der Selbstversorgungsgrad nur als Vorwand dient.

Der Bundesrat erklärt sich bereit, bestimmte Forderungen, die er für begründet hält, in die Arbeiten zur Agrarpolitik ab 2030 (AP30+) aufzunehmen. Er kritisiert jedoch die unrealistischen Fristen der Initiative sowie die Ziele, die tiefgreifende Eingriffe in die landwirtschaftliche Produktion und damit erhebliche staatliche Beihilfen erfordern würden, was zu hohen Kosten für den Bundeshaushalt und einer Bevormundung der Konsumentinnen und Konsumenten führen würde.

Unerreichbare Ziele und ein unrealistischer Zeitplan

In seiner Botschaft an das Parlament zeigt der Bundesrat auf, dass die Politik des Bundes bereits Ziele verfolgt, die denen der Initiative recht nahekommen. Er erinnert daran, dass verschiedene Ziele für das Jahr 2050 definiert wurden, darunter eine Selbstversorgungsquote von über 50% und die Begrenzung des Düngemitteleinsatzes und der CO2-Emissionen, aber auch die Förderung der Biodiversität auf einem Sechstel der landwirtschaftlichen Nutzfläche und die Förderung einer „gesunden, ausgewogenen und nachhaltigen“ Ernährung. Einige Massnahmen werden bereits im Rahmen der AP30+ verstärkt. Der Bundesrat will hierzu jedoch „erreichbare Ziele und einen realistischen Zeitplan”. Er kommt zum Schluss, dass die Initiative nicht zielführend ist und dass ihre detaillierten Vorschriften nichts in der Bundesverfassung zu suchen haben.

Der Bundesrat betont ferner, dass die Ernährungssicherheit bereits heute gewährleistet sei, da die Bevölkerung Zugang zu qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu erschwinglichen Preisen und in ausreichenden Mengen habe. Er räumt jedoch auch ein, dass die Schweiz „aufgrund ihrer hohen Bevölkerungsdichte und der knappen landwirtschaftlichen Nutzfläche“ von Importen abhängig sei.

Diskutables Ziel – vorgeschlagene Rezepte inakzeptabel

Von grosser Bedeutung sind die Passagen des Bundesrats, in welchen er darauf hinweist, dass die Initiative nur dann positive Auswirkungen auf die Umwelt haben könnte, wenn die Bevölkerung bereit ist, ihre Konsumgewohnheiten zu ändern. Ist dies nicht der Fall, wäre ein erheblicher Anstieg der Importe von ausländischen tierischen Produkten die Konsequenz.

Die Stärkung der Selbstversorgung im Lebensmittelbereich mag ein lobenswertes Ziel sein, das kontinuierlich gefördert werden sollte. Hierzu sind für unsere Landwirtschaft ideale Rahmenbedingungen anzustreben, die eine prosperierende Produktion unter angemessenen wirtschaftlichen Bedingungen ermöglichen.  Keinesfalls darf dies jedoch als Vorwand für dirigistische Forderungen hinsichtlich der landwirtschaftlichen Produktion und der Ernährungsgewohnheiten der Gesellschaft dienen. Solche Rezepte sind nicht nur aus Sicht der individuellen Freiheit inakzeptabel, sondern haben sich in der Vergangenheit auch als katastrophal ineffizient erwiesen.

Informationen im Kontext zu “Ernährungsinitiative»: diskutables Ziel, inakzeptable Rezepte!



Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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