- Aussenwirtschaft, Parlament, Politik, Wirtschaft - Pierre-Gabriel Bieri
Schweiz-EU Paket: positive Einschätzung
Schweiz-EU Paket: positive Einschätzung. Das nun in die Vernehmlassung gegebene „Schweiz-EU Paket“ bestätigt massgeschneiderte Lösungen für institutionelle Fragen, die Personenfreizügigkeit, die Einwanderung sowie den Lohnschutz und eröffnet gleichzeitig neue Bereiche der bilateralen Beziehungen. Es verschafft der Schweiz Vorhersehbarkeit und Stabilität in den Beziehungen zu ihren Nachbarn und ihren wichtigsten Handelspartnern.
Stabilisierung und Ausbau der bilateralen Beziehungen
Nach einer langen, spannungsgeladenen Zeit hat der Bundesrat die Ende 2024 mit der EU abgeschlossene neue Reihe bilateraler Abkommen sowie die Änderungen der Bundesgesetzgebung, die sich daraus ergibt, veröffentlicht. Alle diese Dokumente befinden sich bis zum 31. Oktober 2025 in Vernehmlassung.
Die Materie ist umfangreich. Zwischen der Schweiz und der EU wurden 20 Texte ausgehandelt, aus denen neun Bundesbeschlüsse hervorgehen, die Änderungen in einer ganzen Reihe von Bundesgesetzen vorsehen. Allein der erläuternde Bericht umfasst fast neunhundert Seiten. Die Grundzüge dieses Dossiers waren jedoch bereits mehr oder weniger bekannt, und es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine völlige Überraschung.
Der erste Teil, der ein Ganzes bildet, zielt auf die „Stabilisierung“ der bereits bestehenden bilateralen Beziehungen ab. Dieser Teil umfasst insbesondere die Hauptforderung Brüssels, nämlich die Mechanismen für die Übernahme von Weiterentwicklungen des EU-Rechts durch die Schweiz im Rahmen der Abkommen über den Zugang zum europäischen Markt.
Diese institutionellen Elemente, die ursprünglich im „Rahmenabkommen“ Platz finden sollten, das die Schweiz 2021 nicht unterzeichnen wollte, werden nun separat in Protokollen geregelt, die mit jedem der betreffenden Abkommen verknüpft sind. Weitere Änderungen und Aktualisierungen wurden an den bestehenden Abkommen vorgenommen, darunter insbesondere die Teilnahme an verschiedenen EU-Programmen sowie der nunmehr jährliche finanzielle Beitrag der Schweiz zur Bekämpfung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten innerhalb der EU.
In diesem ersten Teil, dem sogenannten Stabilisierungsteil, werden auch Anpassungen in Bezug auf die Personenfreizügigkeit, den Lohnschutz in der Schweiz und die Einwanderung vorgenommen.
Der zweite Teil zielt auf die „Entwicklung“ der bilateralen Beziehungen ab. Er umfasst drei neue, nicht miteinander verknüpfte Abkommen über Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit.
Gezähmte und überwachte Freizügigkeit
Die Personenfreizügigkeit wird weiterhin nur für Personen mit einem Arbeitsvertrag und ihrer Familie gelten. Das „Daueraufenthaltsrecht“ (ähnlich unserer C-Bewilligung), das in der EU nach einem fünfjährigen Aufenthalt gilt, wird in der Schweiz nur für Erwerbstätige gelten, wobei der Missbrauch von Sozialleistungen durch bestimmte Regeln ausgeschlossen ist.
Die Massnahmen zum Schutz des Lohnniveaus in der Schweiz werden beibehalten oder sogar verstärkt. Einige dieser Massnahmen betreffen Arbeitnehmer, die von europäischen Unternehmen entsandt werden (Verpflichtung zur Zahlung der in der Schweiz geltenden Löhne, Erstattung der Spesen in Höhe der tatsächlichen Ausgaben, vorherige Meldung, Kontrollen und Sanktionen). Die Bedingungen für die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrags werden zudem verbessert, um sich bestimmten aktuellen Realitäten anzupassen – wie von Centre Patronal seit mehreren Jahren gefordert.
In Bezug auf die Einwanderung wird die Schweiz von einer Schutzklausel profitieren – dies ist ein wichtiges und unerwartetes Zugeständnis! – die in Abhängigkeit von verschiedenen Schwellenwerten und Indikatoren aktiviert werden kann. Eventuelle Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Schutzklausel werden von einem Schiedsgericht behandelt.
Die Schweizer Verhandlungsführer erzielten bessere Ergebnisse als noch vor einigen Jahren.
Genügend Handlungsspielraum bei Uneinigkeit
Das Konzept des Schiedsgerichts steht im Mittelpunkt der institutionellen – und emotionalen! – Fragen im Zusammenhang mit der „dynamischen“ Übernahme von EU-Recht: Es wurden viele Befürchtungen geäussert, die Schweiz werde künftig gezwungen sein, neue Rechtsakte der EU unwidersprochen zu übernehmen. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Etwaige Meinungsverschiedenheiten über neue Marktzugangsregeln werden zunächst im Gemischten Ausschuss des betreffenden Abkommens erörtert und, falls dort keine Lösung gefunden wird, vor ein paritätisches Schiedsgericht gebracht, das aus einem Schweizer Richter, einem EU-Richter und einem gemeinsam ernannten Vorsitzenden besteht. Dieses Schiedsgericht entscheidet in letzter Instanz. Eine Partei kann sich hingegen immer weigern, die Entscheidung umzusetzen, wobei sie im schlimmsten Fall mit einer angemessenen «Ausgleichsmassnahme» seitens der anderen Partei rechnen muss. An sich lässt ein solcher Mechanismus der Schweiz genügend Handlungsspielraum – vorausgesetzt natürlich, dass der Bundesrat den nötigen Kampfgeist an den Tag legt.
Das derzeit in der Vernehmlassung befindliche Paket soll im ersten Quartal 2026 an das Parlament weitergeleitet werden, sodass mögliche Volksabstimmungen nicht vor 2028 zu erwarten sind. Es ist also noch nichts entschieden. Man kann jedoch bereits jetzt feststellen, dass diese Abkommen, die „nach Mass“ mit Brüssel ausgehandelt wurden, den Interessen der Schweiz nicht schaden, sondern ihr im Gegenteil unbestreitbare Vorteile bringen: Vorhersehbarkeit und Stabilität in den Beziehungen zu ihren Nachbarn und ihren wichtigsten Handelspartnern.
Zusammenfassung und erste Bewertung
Weiterführende Informationen
Medienmitteilung des Bundesrat, 13.06.2025: Paket Schweiz-EU: Der Bundesrat heisst die Abkommen gut und eröffnet die Vernehmlassung