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- Bern - Martin Troxler

Strommangellage: einzig kurzfristige Entwarnung

Strommangellage: einzig kurzfristige Entwarnung. Bild zeigt einen Staudamm in den Schweizer Voralpen mit zur Zeit hohem Wasserstand. Das strukturelle Problem der Schweiz bleibt für die kommenden Jahre bestehen und kann angebotsseitig nicht kurzfristig behoben werden. Deshalb sind die Unternehmen gut beraten, sich weiterhin gut und umfassend vorzubereiten.

Auch in der Schweiz wurden seit dem Sommer angesichts einer drohenden Strom- und Gasmangellage auf allen Ebenen Anstrengungen unternommen. Nun wird für diesen Winter eine Entspannung kommuniziert. Diese ist mit Vorsicht zu geniessen. Das strukturelle Problem der Schweiz bleibt für die kommenden Jahre bestehen und kann angebotsseitig nicht kurzfristig behoben werden. Deshalb sind die Unternehmen gut beraten, sich weiterhin gut und umfassend vorzubereiten.

Alles halb so schlimm?

Auch die Schweiz spürt die Auswirkungen der weltweiten Energiekrise und der Begriff „Strommangellage“ ist in aller Munde. Die anfangs November durch den Bundesrat publizierte Studie der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid für den Winter 2022/23 signalisiert nun eine gewisse Entspannung. Selbst in einem Szenario, bei welchem die Schweizer Kernkraftwerke Leibstadt und Beznau 1 sowie gleichzeitig die Hälfte der importierten französischen Nuklearenergie ausfallen, kann die Versorgung der Schweiz gewährleistet werden. Als wahrscheinlicher eingestuft wird ein Stromengpass aufgrund einer weiter sinkenden Stromproduktion aus Erdgas. Ein solcher würde aber – je nach Szenario – nur stundenweise und vor allem im April auftreten und sollte ebenfalls überbrückt werden können.

Gleichzeitig sind die Strom- und Gaspreise in der Schweiz gegenüber den Höchstständen Ende August kontinuierlich gesunken. Dies dürfte vorallem auf folgende Gründe zurückzuführen sein: Erstens sind die europäischen Gasspeicher gut gefüllt, zweitens gilt dies auch für die Schweizer Stauseen, drittens wird russisches Erdgas in Europa vermehrt durch LNG-Lieferungen anderer Länder kompensiert und viertens mussten die Reserven aufgrund des milden Herbstes bisher nicht übermässig beansprucht werden.

Heisst das nun, dass die ganze Aufregung der letzten Monate, der vierstufige Massnahmekatalog des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) und die vielen gutgemeinten behördlichen Tipps als Sturm im Wasserglas abgetan werden können? Waren die Sorgen der Wirtschaft und der Bevölkerung vor eklatanten Strompreiserhöhungen und drohenden Stromunterbrüchen im Winter unbegründet? Jein, ist man versucht zu sagen. Für den Winter 2022/23 mag es mit Verweis auf die erwähnte Swissgrid-Studie (zumindest im Basisszenario) eine gewisse Entspannung geben, doch bleiben die Sorgenfalten der Fachleute für den Winter 2023/24 und darüber hinaus hartnäckig und begründet bestehen.

Schnelle Lösungen gibt es nicht

Wirtschaft und Bevölkerung sind gut beraten, die Sorgen der Fachleute ernst zu nehmen. Wir haben es an dieser Stelle bereits im August angesprochen: Stromangebot und Stromnachfrage in der Schweiz entfernen sich – gerade in den Wintermonaten – immer mehr von ihrem Gleichgewichtszustand. Das Angebot wurde in den letzten Jahren knapper (Abschaltung Kernkraftwerk Mühleberg im Jahr 2019 und immer wieder blockierte Ausbauprojekte bei der Wasserkraft). Gleichzeitig steigt die Nachfrage infolge der staatlich subventionierten Dekarbonisierung (Verkehr, Heizungen) und des Bevölkerungswachstums. Das (wachsende) Delta sollte ursprünglich mit Stromimporten gedeckt werden. Dies erweist sich nun angesichts der geostrategischen Entwicklungen sowohl als unsichere als auch als teure „Lösung“.

Kann also das Angebot im Winter innert nützlicher Frist genügend rasch ausgeweitet werden? Der Bau von zusätzlichen Kraftwerken, seien es Gaskraftwerke, bifaziale Solarparks an Walliser Berghängen oder erhöhte Staumauern, nimmt mehr Zeit in Anspruch, als dass damit eine wahrscheinliche Mangellage im nächsten Winter abgefedert werden könnte. Und das fehlende Stromabkommen mit der EU, welches für sich allein aber das strukturelle Problem der Schweiz nicht beheben würde, dürfte eine kurzfristige Lösung zusätzlich verkomplizieren.

Der Ausbau der Kapazitäten ist die Lösung. Nur greift diese einzig mittelfristig. Trotzdem ist der umgehende Zubau von Energieproduktionsanlagen (unter anderem von Gaskraftwerken) sofort in Angriff zu nehmen und die Verfahren wo sinnvoll zu straffen. Für die kommenden Jahre werden Bevölkerung und Wirtschaft lernen müssen, mit dem Damoklesschwert winterlicher Energiemangellagen umzugehen. Im Ernstfall müsste Energie auf freiwilliger und/oder auf behördlich angeordneter Basis rationiert werden. Alle jetzt und künftig freiwillig vorgenommenen Einschränkungen helfen mit, damit uns das Worst-Case-Szenario erspart bleibt. Daneben drohen eine erhebliche preisliche Volatilität und eine abnehmende Attraktivität des europäischen Kontinents (und der Schweiz!) für aussereuropäische Investitionen. Ein Aspekt, der in der gegenwärtigen Diskussion gerne übersehen wird.

Gute Vorbereitung ist die halbe Miete

Die Frage ist berechtigt, ob die Schweiz für Strommangellagen kurzfristig ausreichend vorbereitet ist. Im vierstufigen Massnahmeplan der Eidgenossenschaft sind als ultimo ratio in der vierten Stufe regional rotierende Netzabschaltungen für einige Stunden vorgesehen, wobei hier immer darauf verwiesen wird, dass kritische Infrastrukturen (zum Beispiel Arztpraxen und Pflegeheime) ausgenommen werden sollen. Doch sind die Pläne im Ernstfall umsetzbar?

Die Aargauer Regierung zweifelt in ihrer Mitteilung vom 16. November 2022 am Nutzen und der Durchführbarkeit der Abschaltungen (unter anderem deshalb, weil selektive Ausnahmen bei den Netzabschaltungen technisch nicht sinnvoll umsetzbar seien). Sie fordert daher den Bund auf, die Strategie anzupassen und den Fokus stärker auf weitere Stromsparmassnahmen und Verhandlungen mit Grossverbrauchern über Kontingente zu legen.

Für Unternehmen kann die Planung und die richtige Vorbereitung für den Ernstfall überlebenswichtig sein. Nebst der Identifikation ihres Energiesparpotentials in verschiedenen Intensitätsstufen ist auch der Worst Case von Abschaltungen zu berücksichtigen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass ein solches Szenario auch direkte Auswirkungen auf die Arbeitswelt hat und bei Unternehmen im arbeitsrechtlichen Kontext zu Rechtsunsicherheiten führen kann. Gerne verweisen wir in diesem Zusammenhang auf unsere Themenwebsite „Energiekrise und Arbeitsrecht: Was muss ich als Arbeitgeber wissen?“, welche die Unternehmen mit praktischen Handlungsempfehlungen unterstützt und dazu beitragen soll, dass sie sich im gegenwärtigen „Fliegen auf Sicht“ möglichst gut vorbereiten können. Denn Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der Porzellankiste.

Weiterführende Informationen auf unserer Themenwebsite:

Energiekrise und Arbeitsrecht : Was muss ich als Arbeitgeber wissen?

Themenverwandte Beiträge:

Pierre-Gabriel Bieri, Centre Patronal, 11.08.2022, Strom-Mangellage: ernsthafte Vorbereitungen sind wichtig



Martin Troxler,
Verbandsmanager

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