- Arbeitsmarkt, Politik, Wirtschaft - Pierre-Gabriel Bieri
Bürgerdienst: philosophisch falsch, wirtschaftlich unsinnig
Bürgerdienst: philosophisch falsch, wirtschaftlich unsinnig. Heute sind jedes Jahr rund 35’000 Schweizer zum Militär- oder Zivilschutzdienst verpflichtet. Mit der Initiative für einen Bürgerdienst würden doppelt so viele Personen zum Dienst herangezogen. Man müsste Beschäftigungen für diejenigen finden, die nicht mit sicherheitsrelevanten Aufgaben betraut sind. Weitere 35’000 Personen würden vom Berufsalltag abgezogen, um Aufgaben zu übernehmen, die bisher Unternehmen beanstandungslos erbracht haben. Ein Unding!
«Ein Dienst zum Wohle der Allgemeinheit und der Umwelt»
Die Idee eines Bürgerdienstes ist seit langem im Gespräch. Nun wird über die vor knapp zwei Jahren eingereichte Volksinitiative am 30. November abgestimmt. Der Text der Initiative fordert eine Änderung von Artikel 59 der Verfassung, indem darin festgeschrieben wird, dass jede Person mit Schweizer Staatsangehörigkeit «einen Dienst zum Wohle der Allgemeinheit und der Umwelt leisten muss». Dieser Dienst würde «in Form des Militärdienstes oder eines anderen gleichwertigen und gesetzlich anerkannten Milizdienstes» geleistet werden. Es wird präzisiert, dass der Bestand der Armee und des Zivilschutzes gewährleistet bleiben muss. Die Frage eines möglichen Dienstes für die Allgemeinheit durch Ausländerinnen und Ausländer bleibt offen und soll im Ausführungsgesetz geregelt werden.
Dieses System würde das derzeitige System ersetzen, bei dem Männer mit Schweizer Staatsangehörigkeit einen Dienst in der Armee oder im Zivilschutz leisten müssen – mit einem längeren Zivildienst für diejenigen, die den Militärdienst verweigern, und einer Wehrpflichtersatzabgabe für diejenigen, die aus anderen Gründen keinen Dienst leisten. Frauen können auf freiwilliger Basis einen Dienst in der Armee oder im Zivilschutz leisten.
Die Initiative geht von einer grundsätzlich gut gemeinten Idee aus – einen Teil seiner Zeit für die Allgemeinheit zu opfern –, irrt jedoch, wenn sie dies zu einer gesetzlichen Verpflichtung machen will.
Dienen, um eine Aufgabe zu erfüllen – oder dienen, um zu dienen?
Grundsätzlich ist es falsch zu glauben, dass jeder Einzelne aus moralischen oder egalitären Gründen einen Teil seiner Zeit der Gemeinschaft «schuldet». Der einzige Grund, der die Einberufung eines Bürgers durch den Staat rechtfertigt, ist die Erfüllung wesentlicher Aufgaben wie Verteidigung (Armee) oder Rettung (Zivilschutz, Feuerwehr). Dies, wenn es unmöglich oder unangemessen ist, diese Aufgaben auf andere Weise zu erfüllen. Über diese ausdrücklich benannten Aufgaben hinaus müssen die Menschen über ihre Zeit frei verfügen können – und frei entscheiden können, ob sie sich für andere nützliche und ehrenamtliche Aufgaben in der Gemeinschaft engagieren wollen oder nicht.
Analog dazu sollte man bedenken, dass die Steuerzahler dem Staat keinen Teil ihres Geldes «schulden», um eine moralische Pflicht zu erfüllen, ihr Gewissen zu beruhigen oder eine besondere Tugend zu demonstrieren. Sie zahlen Steuern nur, damit der Staat die ihm übertragenen Aufgaben erfüllen kann. Gemäss einer vernünftigen Auffassung von Politik sollte der Staat nicht mehr Steuern erheben, als er benötigt.
Das Modell des Bürgerdienstes würde über die philosophische Frage hinaus ganz konkret einen wesentlichen Unterschied mit sich bringen. Im derzeitigen System sind jährlich etwa 35’000 Personen dienstpflichtig. Mit einem Bürgerdienst, der für die gesamte Bevölkerung mit Schweizer Staatsangehörigkeit vorgeschrieben ist, würde sich diese Zahl offiziellen Berechnungen zufolge auf 70’000 Personen verdoppeln. Die derzeitigen Kosten – 800 Millionen Franken zu Lasten der Erwerbsausfallentschädigung (EO) und 160 Millionen Franken zu Lasten der Militärversicherung, zu denen noch die indirekten Kosten aufgrund von Fehlzeiten am Arbeitsplatz hinzukommen – würden sich ebenfalls verdoppeln.
Im derzeitigen System sind jährlich etwa 35’000 Personen dienstpflichtig. Mit einem Bürgerdienst würde sich diese Zahl auf 70’000 Personen verdoppeln.
Eine doppelte Belastung für die Unternehmen
Damit würden jedes Jahr 35’000 zusätzliche Personen für einen noch zu bestimmenden Zeitraum aus dem Berufsleben ausscheiden. Für Arbeitgeber, aber auch für Selbstständige bedeutet dies ein Opfer zu erbringen – und das in einer Zeit, in der viele Unternehmen unter Personalmangel leiden. Ein solches Opfer ist legitim, wenn es darum geht, wichtige Sicherheitsaufgaben zu gewährleisten; fragwürdiger ja unsinnig wird es, wenn die Hälfte der vom Staat eingezogenen Personen für andere Aufgaben eingesetzt wird.
Und wie viele dieser anderen Aufgaben könnten im normalen beruflichen Rahmen von regulären Unternehmen ausgeführt werden? Wenn man diese Frage stellt, wird klar, dass der Bürgerdienst den Unternehmen nicht nur einen Teil ihres Personals, sondern auch einen Teil ihrer Arbeit wegnehmen würdeDer Staat müsste eine Art Parallelwirtschaft schaffen. Der Bundesrat bemerkt in seiner Botschaft an das Parlament ironisch: «Es erscheint nicht sinnvoll, doppelt so viele Arbeitskräfte aus der Wirtschaft abzuziehen, um sie für Aufgaben einzusetzen, für die sie weniger qualifiziert sind als in ihrer ursprünglichen beruflichen Tätigkeit.» Die Sozialdemokratische Partei hat ihrerseits Anfang des Jahres ihre Befürchtung geäussert, dass ein obligatorischer Bürgerdienst zu Lohndumping führen könnte, da «Tausende von schlecht bezahlten Zwangsarbeitsplätzen» entstehen würden.
Der Bürgerdienst basiert auf einer philosophisch falschen Konzeption und hätte absurde Folgen für die Wirtschaft. Das Urteil lautet eindeutig: NEIN.
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