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Demografie: Segen oder Fluch?

demografie-segen-oder-fluch. Das Bildzeigt dichtgedrängte Menschen beim Einkaufen.

Demografie: Segen oder Fluch? Die Aussicht auf eine Schweiz mit 9 Millionen Einwohnern in diesem Jahr und vielleicht 10 Millionen Einwohnern bis zum Jahr 2040 sorgt für viel Aufregung. Doch die Menschen, die in die Schweiz kommen, um hier zu arbeiten, tragen heute dazu bei, bestimmte Probleme zu bewältigen und den helvetischen Wohlstand zu erhalten. Dies spricht gegen Schnellschüsse, willkürliche Begrenzungen und Angriffe auf die Freizügigkeit mit unseren Nachbarn. 

Die Feststellung eines starken Bevölkerungswachstums…

Im Jahr 2020, als die Schweiz etwa 8,7 Millionen Einwohner zählte, veröffentlichte das Bundesamt für Statistik eine Prospektivstudie zur Bevölkerungsentwicklung, deren Basisszenario davon ausging, dass die 9-Millionen-Marke im Jahr 2025 und die 10-Millionen-Marke im Jahr 2040 überschritten werden würde. Anfang 2023, als die Bevölkerung bereits auf über 8,9 Millionen angestiegen war, wurde realisiert, dass sie im Laufe dieses Jahres 9 Millionen erreichen könnte. Auch wenn einige Demografen nicht daran glauben und eher von einem Rückgang ab 2030 ausgehen, scheint die Aussicht auf eine Schweiz mit 10 Millionen Einwohnern dennoch näher zu rücken und ist mittlerweile ein heiss diskutiertes Thema. Die einen sehen darin ein erfreuliches, ja sogar notwendiges Wachstum, das den Erfolg des schweizerischen Sozial- und Wirtschaftsmodells belegt. Andere wollen es um jeden Preis verhindern, wenn nötig, indem sie jede Form der Zuwanderung unterbinden. Anfang Juli wurde eine eidgenössische Volksinitiative „Keine 10-Millionen-Schweiz (Nachhaltigkeitsinitiative)“ lanciert.

Es ist durchaus verständlich, dass diese Aussicht mit wenig Begeisterung aufgenommen wird. Das Bevölkerungswachstum wirkt sich bereits heute auf unsere Lebensqualität aus, indem es unsere Infrastruktur – Verkehr, Wohnraum, Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Dienste usw. – vor grosse Herausforderungen stellt. Die Anpassung dieser Infrastrukturen ist teuer, hält mit der Bevölkerungsentwicklung nicht Schritt – oft weil Entscheidungen zu langsam getroffen werden – und erzeugt an manchen Orten ein Gefühl der Überforderung.

Dennoch muss man sich fragen, ob es klug wäre, durch eine Verfassungsbestimmung wirksame Massnahmen zu erzwingen, um die Einwohnerzahl zu begrenzen und sie unter einer willkürlich festgelegten Schwelle zu halten. Solche Massnahmen würden, wenn man sich auf den Text der soeben lancierten Initiative bezieht, bis zur Kündigung des bilateralen Abkommens CH-EU über die Personenfreizügigkeit reichen.

… in einigen Bereichen unerlässlich

Es ist notwendig, auch die anderen Probleme zu berücksichtigen, die sich der Schweiz derzeit im Zusammenhang mit der Demografie stellen. Der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter an der Bevölkerung nimmt ab. In der Wirtschaft führt dies zu einem chronischen Mangel an Arbeitskräften, der die Arbeitsfähigkeit vieler Unternehmen beeinträchtigt und auch ausländische Unternehmen beeinflusst, die zögern oder sogar darauf verzichten, sich in der Schweiz niederzulassen. Die Demografie wirkt sich auch auf die Sozialversicherungen aus, die durch das zunehmende Ungleichgewicht der Altersstruktur und des Verhältnisses zwischen erwerbstätiger und nicht erwerbstätiger Bevölkerung gefährdet sind.

Es geht nicht darum, zu behaupten, dass die Einwanderung das Heilmittel für alle unsere Probleme ist. Vielmehr sollte man anerkennen, dass Menschen, die in die Schweiz kommen, um hier zu arbeiten, zumindest kurz- bis mittelfristig dazu beitragen, bestimmte Probleme zu überwinden und den helvetischen Wohlstand zu erhalten. Diese Erkenntnis spricht gegen Schnellschüsse, willkürliche Begrenzungen und Angriffe auf die Freizügigkeit mit unseren Nachbarn. Solche „Lösungen“ beseitigen die oben genannten Schwierigkeiten nicht, insbesondere weil sie die Zuwanderung rein quantitativ und nicht qualitativ angehen. Sie könnten nicht nur die zentralistischen Vorrechte des Bundes ausbauen, sondern auch die Wirtschaft spalten und die Diskussionen über eine Schrumpfung verstärken.

Wir müssen unsere Anpassungsfähigkeit entwickeln, anstatt neue gesetzliche Zwänge zu erfinden.

Sich an die Gegenwart anpassen und die Zukunft voraussehen

Vor allem muss man sich vor Augen halten, dass viele politische, wirtschaftliche oder soziale Fragen miteinander verknüpft sind. Daher ist es wichtig, den Überblick zu behalten und umsichtig zu handeln, indem wir nicht einige Probleme verschärfen, indem wir glauben, andere lösen zu können. Dies hindert jedoch nicht daran, den aktuellen Entwicklungen mit einer gewissen Zuversicht zu begegnen, indem wir unsere Anpassungsfähigkeit weiterentwickeln, anstatt neue gesetzliche Zwänge zu erfinden.

Ausserdem folgt das Bevölkerungswachstum, wie auch das Wirtschaftswachstum, nie einer unveränderlichen Kurve. Wenn ein hohes Wachstumstempo schwer zu kontrollieren oder aufzufangen ist, sollte man bedenken, dass es vielleicht auch eine Gelegenheit bietet, sich auf den Zeitpunkt vorzubereiten, an dem sich das Wachstum von selbst verlangsamt. In diesem Fall sollten wir die Vorteile nutzen, die uns die demografische Entwicklung heute bringt, und gleichzeitig unsere Infrastrukturen intelligent ausbauen und über die Rahmenbedingungen nachdenken, die es uns in Zukunft ermöglichen werden, den Arbeitsmarkt zu beruhigen und die Sozialversicherungen zu sichern, ohne dass die Einwanderung unsere einzige Rettung ist.

Weiterführende Informationen zum Thema “Demografie: Segen oder Fluch?

Bundesamt für Statistik BFS:

Alterspyramide

Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung

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Thomas Schaumberg, 29.08.2022, Fachkräftemangel: Zuwanderung als Teil der Lösung



Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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