- Parlament, Politik, Steuern, Wirtschaft - Pierre-Gabriel Bieri
Umstrittene Vorlagen in der Sondersession

Umstrittene Vorlagen in der Sondersession. Der Nationalrat tagt vom 5. bis 7. Mai im Rahmen einer Sondersession. Auf der Tagesordnung stehen zwei umstrittene Vorlagen, die nach dem Ständerat zurück an den Nationalrat gehen: die individuelle Besteuerung von Ehepaaren und die Intervention des Bundes im Bereich der Kindertagesstätten.
Revolution statt Korrektur
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Individualbesteuerung von Ehepaaren (Geschäft 24.026) hatte der Nationalrat im vergangenen Herbst angenommen. Diesen Frühling stimmte der Ständerat der Vorlage knapp zu. Wenn sogar die kleine Kammer des Bundesparlaments – die Vertretung der Kantone – nicht in der Lage ist, den rasanten Vormarsch dieser absurden Reform, welche die Kantone zu klaren Verlierern macht, zu stoppen, dann besteht wenig Hoffnung, dass im Nationalrat wegen ein paar Meinungsverschiedenheiten mit der Rückweisung dieses Geschäfts an den Bundesrat noch eine spektakuläre Wende eintritt.
In den ersten Konsultationen hatte sich die Mehrheit der Kantone noch gegen diese Steuerrevolution auf allen institutionellen Ebenen ausgesprochen. Die Kantone hatten die Benachteiligung von verheirateten Paaren mit zwei Einkommen seit langem korrigiert – mit einfachen Mitteln wie dem Splitting oder, besser noch, mit Hilfe des Familienquotienten (einer Sonderform des Splittingverfahrens, wie er vom Kanton Waadt angewendet wird). Nur der Bund zögerte jahrelang und weigerte sich ohne triftigen Grund, die entsprechende Korrekturen auch bei der direkten Bundessteuer vorzunehmen. Jetzt hat die Debatte zu dieser Frage den Rahmen des Vernünftigen gesprengt und ist zu einer ideologischen Auseinandersetzung ausgeartet: Die Individualbesteuerung wird als „modern“ bezeichnet, und die einfachen Lösungen gehen vergessen (inklusive Doppelbesteuerungssystem, das der Bundesrat vor nicht allzu langer Zeit vorgeschlagen hat). Vergessen geht, dass diese Umwälzung unseres Steuersystems erst in etwa zehn Jahren in Kraft tritt, wenn jeder Kanton seine Steuertarife überarbeitet hat. Vergessen geht, dass 1,7 Millionen zusätzliche Steuererklärungen bearbeitet werden müssten. Man ist blind gegenüber der Tatsache, dass die Kantone, die sich von Beginn weg als „Musterschüler“ präsentierten, unnötige Steuerausfälle schultern müssten. Man kehrt unter den Teppich, dass das neue System genauso ungerecht ist wie das aktuelle, da die Diskriminierung von verheirateten Paaren mit zwei Einkommen durch die Diskriminierung von verheirateten Paaren mit einem Einkommen ersetzt wird.
„Ehepaar-Besteuerung: Ungerechtigkeit durch neue Ungerechtigkeit ersetzen?“
Man schiesst mit einer Bazooka, um eine Fliege zu töten, bemerkte ein Zeitungskolumnist dazu. Aber man hat beschlossen, dass die Bazooka „modern“ ist, und selbst die Kantone haben nicht mehr den Mut zu sagen, dass sie damit nicht einverstanden sind.
Eine kantonale Zuständigkeit als Obsession des Bundes
Das andere heikle Dossier, über das der Nationalrat zu entscheiden hat, betrifft die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung durch den Bund (Geschäft 21.403). Tatsächlich engagiert sich der Bund seit über zwanzig Jahren mit einem „vorläufigen“ Programm, das den Kantonen Finanzhilfen für die Schaffung von Betreuungsplätzen gewährt. Der Bundesrat schlägt vor, dieses Programm zu beenden – auch mit Blick auf die Entlastung des Bundeshaushalts. Der wichtigste Grund ist aber, dass die familienergänzende Kinderbetreuung eine kantonale Zuständigkeit ist und diese ihr Betreuungs- und Unterstützungsangebot inzwischen ausgebaut haben. Das Parlament lehnt diese sachgerechte Lösung ab und fordert die Fortsetzung der Bundesunterstützung.
Der Nationalrat stimmte zunächst für eine einfache Lösung: die Beibehaltung der bestehenden Bundessubventionen. Der Ständerat entschied sich im vergangenen Dezember für einen anderen Ansatz und schrieb im Bundesgesetz über die Familienzulagen eine neue Betreuungszulage fest, die wie die übrigen Familienzulagen von den Arbeitgebern unter der Verantwortung der Kantone zu finanzieren ist. Der Bund schlägt so zwei Fliegen mit einer Klappe: Er verbucht eine familienfreundliche Massnahme zu seinen Gunsten und senkt gleichzeitig seine Ausgaben, indem er die Kosten auf die Unternehmen abwälzt.
„Familienergänzende Kinderbetreuung: Nein zu neuen finanziellen Belastungen für Arbeitgeber!“
Die Summe zweier schlechter Lösungen
Das Projekt liegt jetzt in den Händen des Nationalrats. Dessen vorberatende Kommission hat sich zu Beginn des Jahres mit dem ganzen Dossier befasst und schlägt seinem Rat vor, die neue Kinderbetreuungszulage zu genehmigen… und gleichzeitig die direkten Subventionen an die Kantone beizubehalten, verbunden mit einem Finanzdeckel von 200 Millionen Franken für vier Jahre. Nicht zwei Lösungen stehen zur Debatte, sondern eine Kombination aus zwei Lösungen steht zur Abstimmung.
Zusätzlich ist die Kommission bestrebt, eine zentralistische Dynamik rund um den Begriff „gut geführte Kitas“ zu schaffen. Ende Januar hat sie ein Postulat (25.3019) eingereicht, in dem sie den Bundesrat auffordert, einen Bericht zu den Anforderungen an eine qualitativ gut geführte Kita, eines kindesgerechten Betreuungsschlüssels, des Anteils von nicht qualifiziertem Betreuungspersonal und der Arbeitsbedingungen und Löhne in Kitas zu verfassen.
Es ist bekannt, dass die Bundespolitik wegen einer Volksinitiative der Sozialdemokratischen Partei unter Druck steht; diese Initiative will Kindertagesstätten zu einem neuen „Service public“ des Bundes machen mit der Konsequenz, dass eine Explosion der Bundesausgaben droht. Nichtsdestotrotz sind die dem Nationalrat vorgelegten Vorschläge Ausdruck eines chaotischen, maximalistischen Aktivismus, der realitätsfern ist und kaum einen Beitrag leistet, das Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung zu verbessern und auszubauen.
Weiterführende Informationen zum Beitrag “Umstrittene Vorlagen in der Sondersession“
Eidgenössisches Finanzdepartement EFD, 01.11.2024: Reform der Ehepaar- und Familienbesteuerung
Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV: Ehepaar- und Familienbesteuerung