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- Bern - Pierre-Gabriel Bieri

Turbulenzen auf dem Strommarkt

Turbulenzen auf dem Strommarkt. Bild zeigt eine Hochspannungsleistung.

Die Gefahr einer schweren kurzfristigen Stromknappheit scheint sich nicht zu bewahrheiten. Die Aussicht, dass Energie dauerhaft teurer sein wird als zuvor, erscheint angesichts des jüngsten Einbruchs am Spotmarkt ungewiss. Nichtsdestotrotz muss die Schweiz, um ihre Versorgungssicherheit und Preisstabilität zu gewährleisten, Wege finden, mehr Strom zu produzieren.

Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich nicht

Turbulenzen auf dem Strommarkt: Das Hauptthema, das die Wirtschaft Ende letzten Jahres beschäftigte, war die Sicherheit der Stromversorgung. Jeder bereitete sich auf drastische Einschränkungen des Stromverbrauchs vor, seien es geplante alternierende Stromausfälle, sei es gar ein plötzlicher Blackout. Nach und nach schwand jedoch die Gefahr einer akuten Stromknappheit: Der Winter ist mild, Frankreich hat mehrere seiner Kernkraftwerke wieder in Betrieb genommen und die Möglichkeit, dass die Schweiz ohne Strom dasteht, scheint frühestens im nächsten Winter einzutreten.

Als sich herausstellte, dass sich die schlimmsten Befürchtungen in Bezug auf die Verfügbarkeit von Strom nicht bewahrheiten würden, musste man immer noch eine kritische Situation hinsichtlich des Strompreises befürchten. Billiger Strom, so glaubte man, gehöre der Vergangenheit an und man werde sich daran gewöhnen müssen, dafür einen hohen Preis zu zahlen. Doch auch diese Befürchtung wird sich vielleicht nicht vollständig bewahrheiten.

Natürlich sind die Preise gestiegen, manchmal sogar schwindelerregend. In der Grundversorgung (regulierter Markt), wo die Tarife jedes Jahr im Spätsommer bekannt gegeben werden müssen, steigen die Preise 2023 im Durchschnitt um etwa 27%. Die durchschnittlichen Kosten pro Kilowattstunde erreichen damit 27 Rappen, das sind 5,8 Rappen mehr als im Jahr 2022. Die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom), welche diese Informationen liefert, schätzt, dass dies für einen „typischen Haushalt“ einen Anstieg von rund 260 Franken über das Jahr bedeuten wird. Die ElCom gibt auch die jeweiligen Erhöhungen der wichtigsten Komponenten des Strompreises an: Energiepreis (von 7,9 auf 13,1 Rp/kWh, d.h. um 64%), Netzkosten (von 9,9 auf 10,5 Rp/kWh, d.h. um 7%) und Abgaben an die öffentliche Hand (von 0,9 auf 1,0 Rp/kWh, d.h. um 11%). Diese Zahlen sind Durchschnittswerte und die für 2023 angekündigten Preise variieren stark zwischen den Netzbetreibern und den einzelnen Gemeinden. Die von der ElCom veröffentlichte Karte zeigt ein insgesamt höheres Preisniveau in der Westschweiz (insbesondere im Kanton Waadt) als in der Deutschschweiz.

Ein Tagespreis, der fast auf null gefallen ist

Der freie Markt erlebte die extremsten Turbulenzen und brachte Unternehmen in Schwierigkeiten, die keine Festpreisverträge abgeschlossen hatten oder ihre Verträge zum ungünstigsten Zeitpunkt neu verhandeln mussten, wobei sie nebenbei die Härte beim Geschäften mit einigen grossen Händlern zu spüren bekamen, nach dem Motto: „Sie wollten den freien Markt, jetzt haben Sie ihn!“ Aber auch wenn der Tagespreis (Spotmarkt) im letzten Sommer ungeahnte Höhen erreichte, mit einem Höchststand von 725 Euro Ende August, ging er danach wieder stark zurück, stieg im Dezember wieder an und fiel am 1. Januar dieses Jahres fast auf null. Es ist nicht bekannt, wo sich die nächsten Verträge mit fester Laufzeit stabilisieren werden (mit Preisen, die wahrscheinlich weiterhin durch Unsicherheitsfaktoren erhöht werden), aber die Vorhersage, dass Strom „dauerhaft teurer als zuvor“ sein wird, ist riskant geworden.

Gegenwärtig beschäftigt sich die Politik vor allem mit der Findung von Rettungsmechanismen. Im November legte der Bundesrat Bedingungen für Grossverbraucher fest, die sich aus dem regulierten Markt in den freien Markt begeben hatten und nun angesichts zu heftiger Schwankungen wieder in den regulierten Markt zurückkehren möchten. Die Bedingungen für eine solche Rückkehr sind jedoch sehr streng und werden nur von einem kleinen Teil der betroffenen Unternehmen erfüllt werden können – die sich nun daran gewöhnen müssen, mit den Vorteilen und Risiken des freien Marktes vorsichtiger umzugehen. Gleichzeitig schlägt der Bundesrat auch einen Unterstützungsmechanismus für grosse Stromversorger vor, die manchmal ebenfalls von Preisschwankungen gebeutelt werden.

Die Schweiz muss mehr Strom produzieren

Dieses kurzfristige Risikomanagement ist notwendig, aber die öffentliche Hand darf die grösste Herausforderung nicht aus den Augen verlieren: die Sicherstellung einer ausreichenden und möglichst einheimischen Stromproduktion. Parallel dazu müssen natürlich weitere Anstrengungen unternommen werden, um Energie zu sparen und sie rationell und optimal zu nutzen, aber eine dynamische Gesellschaft (die sich von fossilen Brennstoffen verabschieden will) kann nicht einfach nur eine Reduktion des Energieverbrauchs fordern. Es muss auch mehr Strom erzeugt werden.

Neue Produktionskapazitäten werden erst mittel- bis langfristig Wirkung zeigen, aber deren Planung muss bereits heute beginnen. Wir sollten nichts unversucht lassen und auf die effizientesten Techniken setzen. Bei der Wasserkraft kann die Schweiz ihre Stärken ausspielen. Im Bereich der Kernenergie wäre es klug, die bestehenden Kraftwerke nicht zu schnell abzuschalten und sich auch mit den vielversprechenden Aussichten neuer Reaktorgenerationen zu befassen. Dies hindert uns jedoch nicht daran, die Entwicklung von Windkraft, Photovoltaik, Geothermie oder Biomasse dort, wo es sinnvoll ist, weiter voranzutreiben. Es ist die Kombination dieser verschiedenen Energiequellen, die eine hinreichende Produktion ermöglichen und stabile und angemessene Preise garantieren wird.

Weiterführende Informationen:

Bundesamt für Energie BFE: Energie-Dashboard

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Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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