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- Bern - Pierre-Gabriel Bieri

Keine freie Wirtschaftstätigkeit ohne Werbung

Keine freie Wirtschaftstätigkeit ohne Werbung. Bild zeigt eine leere Werbefläche an einer Haltestelle.

Während immer mehr Werbeverbote oder -bremsen für bestimmte Produkte erlassen werden, gibt es eine noch radikalere Strömung, die jede Form von Werbung ablehnt. Werbung ist trotz ihrer Mängel und trotz ihres manchmal aufdringlichen Charakters die einzige Möglichkeit für ein Unternehmen oder einen Laden, einen Kundenstamm aufzubauen und diesen zu erneuern. Ohne Werbung gibt es keine private Wirtschaftstätigkeit mehr.

Heute Tabak, morgen Cervelat

Werbung ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig – sie ist ein fester Bestandteil der Wirtschaftstätigkeit. Manche halten sie für aufdringlich und in gewissen Fällen zu Recht. Aus dieser Perspektive ist es richtig, dass für die Werbung auf öffentlichem Grund bestimmte Regeln gelten, insbesondere das Verbot der Wildplakatierung oder die Möglichkeit, sich gegen Werbung im Briefkasten oder am Telefon zu schützen. Generell ist jede Werbung in einen gesetzlichen Rahmen eingebettet. Auf Werbung wird auch ein ethischer Massstab angewandt, der mit Blick auf ihren Inhalt von einer privaten Kommission bewertet wird.

Auch wenn die Werbung aktuell Gegenstand zahlreicher Angriffe ist, dann nicht wegen ihres potenziell aufdringlichen Charakters, sondern wegen des Prinzips Werbung an sich. Die Angriffe richten sich gegen die Daseinsberechtigung von Werbung, die darin besteht, Herstellern oder Händlern die Möglichkeit zu geben, ihre Produkte oder Dienstleistungen bekannt zu machen, um schliesslich den Wunsch beim Konsumenten zu wecken, diese kaufen zu wollen.

Schon heute ist Werbung für bestimmte Produkte verboten. Das gilt aus Gründen des Jugendschutzes insbesondere für Tabakprodukte. Viele Menschen finden dies „sehr gut, da Tabak ja böse ist“. Das Problem: Wer definiert, was „böse“ ist und wer garantiert, dass diese Definition nicht peu à peu ausgeweitet wird.

Vor einem Jahr kämpften die Gegner eines totalen Werbeverbots für Tabak mit dem Slogan: „Heute Tabak! Morgen Cervelat?“ Einige Fleischfachleute waren alles andere als begeistert, dass sie mit den Tabakherstellern in einen Topf geworfen wurden. In den folgenden Monaten zeigte sich jedoch, dass Fleisch tatsächlich das nächste Ziel der Werbezensoren war. Internationale Umweltorganisationen stellten entsprechende Forderungen. In den Niederlanden beschloss die Stadt Haarlem, jegliche Werbung für Fleischprodukte zu verbieten. In der Schweiz werden parlamentarische Vorstösse eingereicht und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) versucht, die Werbung für Sonderangebote für Fleisch zu verbieten.

Der Konsumwahn

Man könnte auch an alkoholische Produkte denken, wo das legitime Bestreben, den Alkoholismus zu bekämpfen, in ein totales Werbeverbot ausarten könnte, selbst für renommierte lokale Produkte wie Wein. Bis dato bleibt es bei einer Zensur, die auf spezifische, als verwerflich geltende Produkte abzielt. Nun wird versucht, dies auf die gesamte Werbung in allen Bereichen auszuweiten. In Genf soll über ein vollständiges Verbot der öffentlichen Plakatwerbung abgestimmt werden. Im Kanton Waadt lancierten Anhänger der Degrowth-Bewegung eine Volksinitiative, die eine progressive Steuer auf Werbeausgaben fordert: Ab einer Schwelle von 10’000 CHF soll jede Werbung, unabhängig von Form und Inhalt, mit 25% besteuert werden, ab 100’000 CHF mit 50% und ab 1 Million CHF mit 100%. Die Begründung: „Kommerzielle Werbung weckt unnötige Wünsche, fördert den Konsumwahn und die Wegwerfgesellschaft.“

Führt Werbung, die sich an professionelle oder institutionelle Kunden richtet – z. B. für Eisenbahnmaterial, Baumaterialien, Arbeitskleidung oder industrielle Sensoren – wirklich zu einem übermässigen Massenkonsum? Führt die Werbung für Dienstleistungen – Rechtsberatung, Coaching, Reinigung oder Reparaturen – auch zu einer Übernutzung der natürlichen Ressourcen? Diejenigen, welche ein Verbot oder eine prohibitive Besteuerung von Werbung fordern, stellen sich diesen grundlegenden Fragen nicht.

Unerlässlich, um sich einen Kundenstamm aufzubauen und diesen zu erneuern

Die Werbung stellt einen Wirtschaftszweig dar, der für viele Menschen und damit auch für die Allgemeinheit Wohlstand schafft. Im Jahr 2018 belief sich der Nettoumsatz des Werbemarktes in der Schweiz auf 4,6 Milliarden CHF – ohne Suchmaschinenwerbung und soziale Netzwerke. Die direkt und indirekt von der Werbebranche generierte Wertschöpfung beläuft sich auf über 3,3 Milliarden CHF. Über 30’000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von ihr ab. Träumt man davon, die Werbung abzuschaffen, dürfen diese Zahlen nicht vergessen werden.

Ein Werbeverbot hat weitreichende Folgen: Alle Unternehmen und Geschäfte würden daran gehindert, sich einen Kundenstamm aufzubauen und diesen zu erneuern. Nur grosse multinationale Unternehmen könnten ein solches Verbot umgehen, indem sie sich auf Millionen von persönlichen Daten und elektronische Kommunikation abstützen. Dies würde zu einem dirigistischen System führen, das die Möglichkeit einer privaten Wirtschaftstätigkeit verneint. Auf diese Weise wird die in Artikel 27 der Bundesverfassung verankerte Garantie der Wirtschaftsfreiheit ausgehöhlt.

Sollte nicht besser anstelle eines Werbeverbots die Eigenverantwortung gestärkt werden, damit Jeder vernünftige Entscheidungen treffen kann und nicht dem Konsumwahn verfällt und alles und jedes kauft, was in der Werbung angepriesen wird?

Weiterführende Informationen zum Beitrag

Stiftung Werbestatistik Schweiz: Publikationen

Bundesamt für Kommunikation BAKOM: Werbeverbote, elektronische Medien

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Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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