Aktuell

- Bern, Politik - Martin Kuonen

Renteninitiative: Keine Zeit verlieren – Gegenvorschlag jetzt

Bild zeigt ein Rentner-Paar vor der Bergkulisse des Bietschhorns, Wallis. Renteninitiative: Unverständlicher Salto rückwärts. Die Renteninitiative hat trotz ihrer Mängel den Vorzug, dass sie einen Mechanismus zur Schuldenbremse der AHV vorsieht, der das Verhältnis zwischen der Dauer des Erwerbsleben und der Dauer des Ruhestands berücksichtigt. Die Forderung nach einem Gegenentwurf, die am 5. Juni vom Nationalrat unterstützt wurde, war daher vollkommen gerechtfertigt, und die Kehrtwende der mit dieser Aufgabe betrauten Kommissionsmitglieder ist unverständlich.

Die Pflöcke für eine nachhaltig strukturelle Reform der AHV sind jetzt einzuschlagen. Das Mittel hierzu ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Renteninitiative. Jetzt mit einem Gegenvorschlag handeln heisst Verantwortung übernehmen, damit die AHV früher nachhaltig saniert werden kann. 

Zeit gewonnen, strukturelles Defizit bleibt

Nach über 20 Jahren Stillstand gelang mit der AHV 21 endlich wieder eine Reform der 1. Säule. Das Referenzalter für den AHV-Bezug der Frauen wird schrittweise demjenigen der Männer angeglichen. Dies entlastet die AHV. Zudem trat 2020 die Steuerreform mit einer zusätzlichen AHV-Finanzierung (STAF) in Kraft. Auch diese Reform hilft, die AHV-Finanzierungslücke zu verringern. Ist somit alles in Butter? Mitnichten!

Die laufenden Einnahmen werden bereits 2029 nicht mehr die jährlichen Ausgaben decken können. Somit wird in Kürze das sogenannte Umlageergebnis der AHV wieder negativ sein. Aufgrund von geopolitischen Spannungen, wirtschaftlichen Unsicherheiten und der hohen Volatilität der Finanzmärkte musste Compenswiss, der Ausgleichsfonds der AHV/IV/EO, im Jahr 2022 eine negative Nettorendite von 12,85 % ausweisen. Und die dunkeln Wolken am Anlagehorizont werden sich wohl nicht so schnell verziehen. Die langfristige Finanzierung der AHV lässt sich daher nicht durch Anlagerenditen sichern.

Auch die Verwaltung kommt in dem von der SGK-N im Zusammenhang mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente verlangten Bericht zum Schluss: „Bei einer Ablehnung der Initiative liegt das projizierte jährliche Umlagedefizit im Jahr 2032 bei rund 3 Milliarden Franken und wächst bis 2050 auf rund 10 Milliarden an. Bei einer Annahme der Initiative liegt das projizierte jährliche Umlagedefizit im Jahr 2032 bei rund 7 Milliarden Franken und wächst bis 2050 je nach Szenario auf 14 bis 18 Milliarden Franken an.“ Die Reformen AHV 21 und STAF bringen somit einzig eine kurzfristige Verschnaufpause. Prompt weckt dieser Umstand bereits bei einigen Gelüste nach zusätzlichen Ausgaben. Hängig ist zudem die abwegige Initiative, welche eine 13. AHV-Rente verlangt. Und dies alles vor dem Alptraum, dass bis heute keine strukturelle Lösung für das Demographieproblem der AHV vorliegt. Deshalb tut Abhilfe not.

Gegenvorschlag zur Renteninitiative hilft

Die von den Jungfreisinnigen eingereichte Renteninitiative geht das Finanzierungsproblem der AHV richtigerweise strukturell an. Sie will für die AHV eine Erhöhung des Rentenalters mit einer automatischen Anpassung an die Entwicklung der Lebenserwartung kombinieren. Die Initiative steckt zurzeit in der parlamentarischen Beratung. Obwohl sie ein berechtigtes Anliegen aufnimmt, muss man kein Prophet sein, um dieser die Ablehnung von Volk und Ständen vorauszusagen.

Die Renteninitiative kann aber trotzdem auf dem Weg hin zu einer strukturellen Stabilisierung der AHV nützlich sein. Dies, indem sie als Steigbügelhalter dient, damit das Parlament auf Gesetzesstufe einen indirekten Gegenvorschlag ausarbeiten kann. Leider lehnte die SGK-S dies mit einer knappen Mehrheit von 7 zu 5 Stimmen ab. Und auch die SGK-N spricht sich mit 15 zu 9 Stimmen bei einer Enthaltung gegen einen indirekten Gegenvorschlag aus.

Aber: Noch ist nicht aller Tage Abend. Der Nationalrat kann in der Sommersession den Entscheid seiner vorberatenden Kommission umstossen. Damit wird der Weg frei für eine offene und konstruktive Diskussion zur strukturellen Sanierung der AHV. So kann das Parlament aufs Tempo drücken. Denn die AHV muss angesichts der düsteren Finanzperspektiven und im  Interesse der Rentenbezüger zügig reformiert werden.

„Statt eine Vogel-Strauss-Politik zu betreiben, ist Verantwortung gefragt, um früher eine strukturelle finanzielle Stabilität der AHV zu erreichen.

TGV statt Bummelzug

Die Zeit ist jetzt reif für einen indirekten Gegenvorschlag. Sich zu gedulden, bis der Bundesrat aufgrund der angenommenen Motion 21.3462 „Auftrag für die nächste AHV-Reform“ Ende 2026 einen Vorschlag unterbreiten wird, ist keine vorausschauende, ehrliche und konsequente Politik. Denn was gewinnt man, wenn man auf die Vorschläge des Bundesrates wartet? Die Lösungswege sind gegeben: Man kann einnahmeseitig sanieren mit höheren Lohnabzügen und Steuermitteln. Oder man kann ausgabenseitig sanieren mit neuen Lösungen für einen späteren Rentenbezug, weil ein Rentenabbau oder ein Stopp von Rentenerhöhungen auszuschliessen sind. Noch effektiver: Man kombiniert ausgewogen beide Handlungsstränge miteinander.

Zentrale Elemente eines indirekten Gegenvorschlages sollten aus unserer Sichtweise geleistete Beitragsjahre statt fixes Referenzalter sein (d.h. ein „Lebensarbeitszeitmodell“), zudem die gesetzliche Fixierung eines finanziellen Stabilisierungsmechanismus sowie die Berücksichtigung der Lebenserwartung. Damit werden die AHV-Renten durch eine nachhaltige, moderne und soziale Reform gesichert.

Das Parlament kann bereits jetzt das Heft in die Hand nehmen, die gesetzgeberischen Arbeiten in die Wege leiten und der Verwaltung die entsprechenden Aufträge erteilen, damit diese die Berechnungsmodelle ausarbeiten kann. Das Sozialwerk AHV ist zu wichtig, als dass der zuständige Gesetzgeber seine Hände in den Schoss legt und zuwartet, bis der Bundesrat 2026 mit Reformvorschlägen aufwarten wird, die dann (wieder) im parlamentarischen Ping Pong zerfleddert werden. Jetzt handeln heisst Verantwortung übernehmen, damit die AHV früher nachhaltig saniert werden kann.

Es mag immer mehr oder weniger plausible Gründe geben, um gerade jetzt (im Wahljahr) ein politisch heisses Eisen nicht anzufassen. Nur sollte jetzt Kante gezeigt und Verantwortung übernommen werden. Denn die dauerhafte finanzielle Stabilität der AHV ist zu wichtig, als dass eine Vogel-Strauss-Politik betrieben wird.

Weiterführende Informationen zum Beitrag Renteninitiative: Keine Zeit verlieren – Gegenvorschlag jetzt

Bundesamt für Sozialversicherungen BSV: Stabilisierung der AHV (AHV 21)

SRF BILANZ Standpunkte mit Brenda Durruz-McEvoy: Wie retten wir die Rente?

Schweizerischer Arbeitgeberverband: Verpasste Chance für konstruktive Lösungen

Christoph A. Schaltegger, Die Volkswirtschaft, vom 20.03.2023: Eine Schuldenbremse in der AHV?

Lösungsvorschlag von Centre Patronal: Für eine nachhaltige, moderne und soziale Reform der Altersvorsorge

Themeverwandte Artikel

Pierre-Gabriel Bieri, 04.09.2022: AHV 21: Eine „abgefederte“ Reform

Pierre-Gabriel Bieri, 27.12.2021: AHV 21 – Oder das Warten auf eine echte Reform

Markus Hugentobler, 24.04.2019: AHV Defizit



Martin Kuonen,
Direktor Centre Patronal Deutschschweiz

Teilen :