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- Bern - Pierre-Gabriel Bieri

Nachhaltige, moderne und soziale Reform der Altersvorsorge

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Centre Patronal schlägt ein neues Modell zur Reform der Altersvorsorge vor. Sowohl in der 1. wie auch der 2. Säule soll der Anspruch auf eine volle Rente neu von der Anzahl geleisteter Beitragsjahre abhängen (Lebensarbeitszeit). Die heutigen Realitäten des Arbeitsmarktes werden durch dieses gerechtere Modell besser berücksichtigt. Vorgeschlagen werden zudem notwendige Anpassungen, um die langfristige und damit nachhaltige Finanzierung sicherzustellen.

Überwindung politischer Blockaden

Das Dossier Reform der Altersvorsorge ist politisch seit fast 20 Jahren blockiert. Nach einer langen Reihe verpasster Gelegenheiten, scheitere 2017 die ehrgeizige Reform „Altersvorsorge 2020“ in der Volksabstimmung. Die Gesetzesvorlage „STAF“, 2019 vom Volk angenommen, hat für das finanzielle Gleichgewicht der AHV nur eine kleine Atempause zur Folge. Die Vorlage „AHV21“, die soeben ans Parlament überwiesen wurde, ist nicht darauf ausgerichtet, strukturelle Ungleichgewichte der Sozialversicherung zu bekämpfen. Diese Meinung teilt der Bundesrat. Seiner Ansicht nach braucht es eine tiefgreifendere Reform, um die Finanzierung der Altersvorsorge langfristig und damit nachhaltig sicherzustellen.

Deshalb sind Vorschläge gefragt, die in einer Volksabstimmung wahrscheinlich bestehen können. Die Zeit drängt, da sich die finanzielle Situation der Sozialversicherungen zusehends verschlechtert. Die AHV beruht auf dem Umlageverfahren. Sie sieht sich wegen der bevorstehenden Pensionierung der Babyboomer und einer sinkenden Geburtenzahl mit einer  Umkehr der Alterspyramide konfrontiert. Kamen 1948 auf einen Rentner sechs Erwerbstätige, sind es heute noch drei. Auch die berufliche Altersversorgung (BVG) ist gefährdet: Die Menschen länger leben und die Kapitalrenditen sinken. Deshalb reicht das während dem Erwerbsleben angesparte Alterskapital nicht mehr aus, um während der ganzen Dauer der Pension die versprochenen Renten zu bezahlen.

Die Wirtschaftsorganisation Centre Patronal, die auch bedeutende Kassen von Sozialversicherungen führt, schlägt ein neues Modell für die Altersvorsorge vor, welches innovativ und kohärent ist. Dieses beruht auf einem Paradigmenwechsel: Weg vom gesetzlich starren Rentenalter, hin zu geleisteten Beitragsjahren (Lebensarbeitszeit). Dies macht umso mehr Sinn, als die Änderung des Rentenalters sowohl bei der Bevölkerung als auch in politischen Kreisen Abwehrreaktionen auslöst. Dieses Modell kommt heute ausgegoren und präzise daher. Dazu beigetragen hat der Bericht von Professor Christoph A. Schaltegger der Universität Luzern. 

Faires, flexibles Modell mit einem Mechanismus zur Stabilisierung

Das erarbeitete Modell von Centre Patronal behandelt die 1. und 2. Säule in einer Gesamtbetrachtung. Das Recht auf eine volle Altersrente ist nicht mehr abhängig vom Erreichen einer Altersgrenze. Neu zählen die geleisteten Beitragsjahre. Nach 44 Beitragsjahren ist die Lebensarbeitszeit erreicht und wird eine volle Altersrente ausgerichtet. Die Beitragsjahre beginnen mit dem 18. Altersjahr zu laufen, sofern ein signifikatives Lohneinkommen erzielt wird. Für alle anderen beginnen die Beitragsjahre mit dem 21. Lebensjahr. Demzufolge liegt der Anspruch auf eine volle Altersrente bei spätestens 65 Jahren. Er kann aber auch früher eintreten (mit 62 Jahren), sofern der Eintritt ins Berufsleben früher erfolgte. Um die gewünschte Flexibilisierung zu ermöglichen, kann frühestens mit 40 und spätestens mit 48 geleisteten Beitragsjahren in Rente gegangen werden, mit der üblichen versicherungsmathematischen Rentenkürzung oder -erhöhung.

Das Modell mag paradox erscheinen, weil damit ein nicht zu vernachlässigbarer Anteil der Bevölkerung die Möglichkeit erhält, früher in Rente zu gehen. Dem steht der Vorteil einer besseren sozialeren Einbindung gegenüber. Personen, die früher ins Erwerbsleben eintreten, arbeiten häufig in körperlich anspruchsvollen Berufen. Diese sollen früher in Rente gehen können. Politisch werden dadurch die Chancen auf die Annahme des Modells erhöht.

Zusätzlich wird ein Stabilisierungsmechanismus vorgeschlagen, um die Finanzierungslücke bei der AHV regelmässig und automatisch zu schliessen. Dank der Kombination dieser drei Massnahmen bleibt das Umlageergebnis der AHV im Gleichgewicht: Erhöhung der Mehrwertsteuer (zur Hälfte), Erhöhung der Lohnabzüge (ein Viertel) und Erhöhung der erforderlichen Beitragszeit (ein Viertel). Damit wird die Last breiter verteilt, um eine schrittweise, moderate und faire Verlängerung der Lebensarbeitszeit herbeizuführen. Die Berechnungen zeigen, dass die anfängliche Beitragsdauer von 44 Jahren bereits ab 2027 um einen Monat pro Jahr ansteigt. 

2. Säule, die den aktuellen Realitäten Rechnung trägt

Im Obligatorium der 2. Säule bedingt die Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0%, verteilt über acht Jahre. Um die Auswirkungen dieser Massnahme abzuschwächen und das Rentenniveau zu halten, ist es notwendig, dass das zum Zeitpunkt der Pensionierung angesparte Altersguthaben höher ausfällt. Dies kann durch einen früheren Eintritt in die berufliche Vorsorge, durch die Abschaffung des Koordinationsabzugs (Erhöhung des Anteils der versicherten Löhne) und durch eine neue Staffelung der Beitragssätze (Altersgutschriften) erreicht werden. Darüber hinaus ist geplant, dass Selbständigerwerbende der obligatorischen beruflichen Vorsorge unterstellt werden.

Das von Centre Patronal vorgestellte Modell berücksichtigt die heutigen Realitäten der Arbeitswelt. Mehr Leute unterstehen dem obligatorischen Teil BVG, was zu höheren Beiträgen führt. Damit wird eine bessere Altersvorsorge für Teilzeitbeschäftigte, Kurzzeitbeschäftigte oder Personen, die für mehrere Arbeitgeber tätig sind, erreicht.

Insgesamt beinhalten die vorgestellten Vorschläge eine nachhaltige, moderne und soziale Reform der Altersvorsorge. Sie fussen auf politischen Überlegungen, aber auch auf der Praxiserfahrung von Kennern der Sozialversicherungen. Ihre Auswirkungen wurden akademisch evaluiert. Die wohlwollende Aufnahme, ja sogar Akzeptanz, der Vorschläge in der Bevölkerung wurde durch eine repräsentative Umfrage in Erfahrung gebracht. Nun ist die Politik am Zug.


Eine vollständige und detaillierte Präsentation der Vorschläge von Centre Patronal finden Sie auch unter diesem Link.



Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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