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- Bern - Pierre-Gabriel Bieri

Die politische Agenda der Wirtschaftsorganisationen

Die grossen Schweizer Wirtschaftsverbände haben gemeinsam eine Liste der politischen Dossiers veröffentlicht, die sie vorrangig beschäftigen. Die Waadtländer Dachverbände haben eine ähnliche, wenn auch detailliertere Übung durchgeführt. All dies sind Mahnungen an die Politik, die Bedeutung der Privatwirtschaft nicht zu vergessen und die Rahmenbedingungen für ihre Dynamik zu erhalten.

Die grossen Schweizer Wirtschaftsverbände haben gemeinsam eine Liste der politischen Dossiers veröffentlicht, die sie vorrangig beschäftigen. Die Waadtländer Dachverbände haben eine ähnliche, wenn auch detailliertere Übung durchgeführt. All dies sind Mahnungen an die Politik, die Bedeutung der Privatwirtschaft nicht zu vergessen und die Rahmenbedingungen für ihre Dynamik zu erhalten.

Appelle an die Politik

Ende letzter Woche zogen die grossen Schweizer Wirtschaftsverbände – der Schweizerische Arbeitgeberverband, der Schweizerische Gewerbeverband und Economiesuisse – am gleichen Strick und kündigten eine „gemeinsame wirtschaftspolitische Agenda“ an, mit der die wichtigsten kurzfristig notwendigen Reformen identifiziert werden sollen. Die drei Organisationen antizipieren damit die Entwicklung der „post-Covid“ Weltwirtschaft, die sich stark verändern und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz vor neue Herausforderungen stellen dürfte. Daraus ergibt sich die Feststellung, dass „die Schweiz eine Vitalisierungskur braucht“.

Dieser Appell an die Politik enthält keine wirklich neuen Forderungen, aber er setzt Prioritäten und fordert zum Handeln auf. Der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands betonte, wie wichtig eine rasche Reform der Altersvorsorge sei, weil die zur Diskussion stehenden Projekte weiterhin auf politische Blockaden stiessen. Der Präsident von Economiesuisse forderte eine „Nachhaltigkeit“, die nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial ist; dazu gehören einige Steuerreformen (Reform der Verrechnungssteuer, schrittweise Abschaffung der Stempelsteuer) sowie die Aufrechterhaltung gesunder öffentlicher Finanzen. Schliesslich betonte der Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands die Notwendigkeit, unnötige Regulierungskosten zu senken, was auch bedeute, dass der Gesetzgeber nur in den Bereichen tätig werden sollte, in denen es wirklich notwendig ist.

Der Streit drehte sich um die Erhebung neuer und die Anhebung bestehender Steuern. Der Bundesrat kündigte an, die Konsequenzen aus diesem Misserfolg zu ziehen und bis Ende Jahr eine neue Vorlage zu präsentieren, die nicht mehr auf einer zusätzlichen Besteuerung von Bevölkerung und Unternehmen, sondern auf gezielteren finanziellen Anreizen beruht.

Zufälligerweise fand fast zeitgleich im Kanton Waadt eine ähnliche Übung statt, wo die Dachverbände der Privatwirtschaft in einer rund 20-seitigen Broschüre mit dem Titel „Impulsions 2027“ ihre Forderungen an die Politik für die kantonale Legislaturperiode 2022-2027 formulierten. Diese in neun thematische Kapitel unterteilten Forderungen, die manchmal allgemein gehalten, oft aber auch konkret und präzise sind, rufen insbesondere dazu auf, die Vielfalt des Wirtschaftsgefüges zu erhalten, die technologische Innovation zu stärken, aber auch einen ständigen Dialog zwischen Staat und Wirtschaft zu etablieren.

Die Privatwirtschaft als Motor für den kollektiven Wohlstand…

Diese Kataloge von Vorschlägen oder Forderungen stellen legitime Schritte dar. Sie sind nicht immer von Erfolg gekrönt – die Waadtländer Wirtschaftsorganisationen, welche dieses Vorgehen bereits in der letzten Legislaturperiode gewählt hatten, konnten dies feststellen – aber sie bieten die Gelegenheit, an die funktionalen Verbindungen zwischen Wirtschaft und Staat zu erinnern. Die Wirtschaft ist ein untrennbarer Bestandteil der Gesellschaft und versorgt diese mit direktem Wohlstand durch das Einkommen, das sie den Arbeitnehmenden und Selbstständigen verschafft, und indirektem Wohlstand durch die Steuern und Abgaben, welche die Unternehmen und ihre Arbeitnehmenden an den Staat abführen. Im Gegenzug muss der Staat für Rahmenbedingungen sorgen, die wirtschaftliche Aktivitäten begünstigen.

Die Wirtschaft ist natürlich kein homogenes Gebilde, sondern besteht aus einem komplexen Gefüge, in dem jedoch jeder seinen Platz hat und jeder den anderen braucht, sowohl die KMU und der lokale Handel als auch die Grossunternehmen und der internationale Handel. Die meisten Forderungen, die hier an die Politik gerichtet werden, sind daher nicht bereichsbezogen, sondern dienen den Interessen aller Wirtschaftsakteure.

… aber dieser Wohlstand ist nie endgültig gesichert

Diese Forderungen beziehen sich fast immer auf die Höhe der Steuern, die Arbeitskosten oder den Verwaltungsaufwand. Diese Themen tauchen immer wieder auf, weil sie manchmal von der Politik nicht ausreichend berücksichtigt wurden, oder weil echte Anstrengungen in diesen Bereichen durch neue Belastungen ausgeglichen wurden, oder weil man sich an ausländischen Konkurrenten orientieren muss, denen es gelingt, die Belastungen niedriger zu halten. Dies sind Dinge, die den politischen Entscheidungsträgern möglicherweise nicht bekannt sind, weshalb die Privatwirtschaft ihre Bedenken allgemein oder im Detail darlegen sollte.

Vor allem aber ist es wichtig, die Öffentlichkeit an die Voraussetzungen für eine dynamische Wirtschaft zu erinnern, insbesondere im Hinblick auf bevorstehende Volksabstimmungen, die diese Voraussetzungen verbessern oder verschlechtern könnten – sei es die schrittweise Abschaffung der Stempelsteuer oder die Zunahme der Werbeverbote. Politische Entscheidungen, welche die Interessen der Wirtschaft nicht berücksichtigen, führen unweigerlich zu einer mehr oder minder langsamen Verschlechterung des kollektiven Wohlstands.

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Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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